Die Kieferhöhle und die laterale Nasenwand

Moderne Konzepte der Therapie der odontogenen Kieferhöhlenentzündung orientieren sich an der Funktion der Nasennebenhöhlen. Neben der Kenntnis pathologischer Prozesse in der Kieferhöhle ist deshalb das Wissen über die Anatomie, insbesondere auch des ostiomeatalen Komplexes, und die Physiologie der Kieferhöhle entscheidend. Anatomische Varianten im Bereich des natürlichen Ostiums des Sinus maxillaris sowie Störungen der mukoziliaren Clearance begünstigen die Entstehung einer Sinusitis maxillaris. Zusatzmaterial online Viedosequenz zur mukoziliaren Clearance aus einer gesunden Kieferhöhle und offenem Ostium Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten Jetzt einloggen Kostenlos registrieren Dieses Zusatzmaterial finden Sie auch online unter dx.doi.org/10.1007/s12285-013-0409-0 Anatomie Sinus maxillaris Die Kieferhöhle hat eine pyramidale Form mit ihrer Basis in Richtung der lateralen Nasenwand. Sie ist 4,5–35 cm3 (Durchschnitt 14,7 cm3) groß. Eine Septierung der Kieferhöhle kann auch als Zeichen von Haller-Zellen verstanden werden. Das Dach der Kieferhöhle weist im Bereich des N. infraorbitalis in ca. 14 % der Fälle knöcherne Dehiszenzen auf, was zur Vorsicht bei der Entfernung von Schleimhaut in dieser Region Anlass gibt. In der Bodenregion können Schleimhautfalten und Knochenkämme (Underwood-Septen) vorliegen (32–56 %), teilweise mit Höhen >13 mm [14]. Der Abstand der Zahnapices zum Sinusboden beträgt durchschnittlich 6,7 mm für den 1. Prämolaren, 4,1 mm für den 2. Prämolaren, 2,6 mm für den 1. Molaren und 2,2 mm für den 2. Molaren. Die mesiobukkale Wurzel des 2. Molaren ragt in bis zu 53 % der Fälle in die Kieferhöhle hinein [13, 15]. Die dünne Barriere zwischen diesen Zähnen und der Kieferhöhle erklärt die mögliche Fortleitung von odontogenen Infektionen. Das Ostium des Sinus maxillaris liegt im kranialen Bereich der medialen Wand (durchschnittlich 1,6 mm unterhalb des Kieferhöhlendachs) und mündet in den mittleren Nasengang. Die Kieferhöhle ist mit respiratorischer Mukosa ausgekleidet. Sie besteht aus einem pseudogeschichteten, säulenförmigen zilientragenden Epithel, einer schmalen Lamina propria und dem darunter liegendem Periost. Es besteht keine Submukosa, jedoch finden sich Becherzellen und muköse und seromuköse Drüsen. Die Mukosa ist fest mit dem Knochen fixiert. Sie ist vergleichbar mit der nasalen Schleimhaut, jedoch dünner (maximal 0,5 mm). Laterale Nasenwand Die laterale Nasenwand begrenzt die Kieferhöhle nach medial und ist deshalb für den transnasalen Zugang zur Kieferhöhle interessant. Sie wird durch die Anheftung der Muscheln in einen unteren, mittleren und oberen Nasengang unterteilt (Abb. 1). Abb. 1 Anatomisches Präparat mit Darstellung der lateralen Nasenwand. Die untere (CI) und mittlere Muschel (CM) sind markiert × In den Meatus nasi inferius drainiert der Tränen-Nasen-Gang, in den Meatus nasi medius die Kieferhöhle, die Stirnhöhle und die vorderen und mittleren Siebbeinzellen und in den Meatus nasi superior die hinteren Siebbeinzellen sowie die Keilbeinhöhle. Mittlerer Nasengang Der mittlere Nasengang wird durch die Anheftungsstelle der mittleren Muschel nach oben, die Anheftungsstelle der unteren Muschel nach unten und die mittlere Muschel nach medial begrenzt [11]. Die mittlere Muschel ist in den vorderen Abschnitten oben über die Lamina cribrosa, weiter hinten am Os ethmoidale und an der Lamina perpendicularis des Os ethmoidale angeheftet. Sie ist Teil des Siebbeins. In 14–50 % der Fälle ist sie pneumatisiert [5]. Dann spricht man von einer Concha bullosa (Abb. 2, [18]). Durch eine resultierende Einengung des mittleren Nasengangs kann diese zu Belüftungsstörungen führen und Sinusitiden begünstigen. Abb. 2 Computertomogramm einer Concha bullosa (pneumatisierte mittlere Muschel) mit Einengung des Ostiums bzw. Infundibulums des Sinus maxillaris × Die untere Muschel ist dagegen eigenständig und sehr selten pneumatisiert. Der Processus uncinatus begrenzt als knöcherner Wulst den Hiatus semilunaris und damit auch das Ostium maxillare von kaudal und medial (Abb. 3, Abb. 4). Bei der endoskopischen Inspektion des mittleren Nasengangs von vorn verdeckt er den Blick auf den Hiatus semilunaris (Abb. 5). Er läuft von kranial anterior nach kaudal posterior. Abb. 3 Knöcherne Strukturen der lateralen Nasenwand mit Hiatus semilunaris (HS), Ansatz mittlere Muschel (CM) und untere Muschel (CI), Processus uncinatus (PU), Fontanellen (F) × Abb. 4 Luxation der mittleren Muschel (CM) nach medial und Exposition des mittleren Nasengangs mit Processus uncinatus (PU) und Hiatus semilunaris (HS) × Abb. 5 Endoskopischer Blick in die linke Nasenhaupthöhle mit Darstellung der mittleren Muschel (CM), der unteren Muschel (CI) und des Processus uncinatus (PU) × Die Bulla ethmoidalis liegt im vorderen Siebbein und ist sehr konstant. Bei einer ausgeprägten Pneumatisation kann es zu einer Einengung des mittleren Nasengangs und damit des Hiatus semilunaris mit behindernder Ventilation und Drainage kommen. Hiatus semilunaris In den Hiatus semilunaris münden die Öffnungen der Kieferhöhle, der Stirnhöhle und des vorderen Siebbeins (Abb. 6). Seine Länge beträgt 14–22 mm. Das Kieferhöhlenostium variiert mit seinem Durchmesser zwischen 3 und 19 mm bei einer durchschnittlichen Weite von 5 mm. Nach Zuckerkandl [18] ähnelt die Form einem elliptischen Spalt, ist oft aber auch rund oder nierenförmig. Da der Durchmesser bzw. Radius im Quadrat in die Flächengröße eines runden Ostiums eingeht × (Equ1) , können kleinere Durchmesser erheblich die Belüftung und Drainage der Kieferhöhle beeinträchtigen und Sinusitiden begünstigen. Abb. 6 Darstellung des Hiatus semilunaris und der mit Guttaperchaspitzen markierten Ostien der Kieferhöhle (SM), Stirnhöhle (SF) und der vorderen Siebbeinzellen (SE) im Hiatus semilunaris (die mittlere Muschel wurde gefenstert) × Fontanellen und akzessorische Ostien Durch die unterschiedliche Vereinigung des Processus uncinatus mit den angrenzenden Knochen können knöcherne Lücken in der lateralen Nasenwand in Höhe des mittleren Nasengangs bzw. der Kieferhöhle entstehen (Abb. 3). Hier liegen die Schleimhaut der Nasenhaupthöhle und der Kieferhöhle direkt aufeinander (Fontanellen). Die Schleimhautdecke kann als anatomische Variante Öffnungen aufweisen und es bilden sich damit akzessorische Ostien. Diese sind hinter und unterhalb des Processus uncinatus lokalisiert. Die Häufigkeit des Auftretens wird mit 9,5–28 % angegeben [1, 6, 18]. Es wird angenommen, dass sich bevorzugt in höherem Alter akzessorische Öffnungen bilden können. Eine pathologische Bedeutung könnten solche Ostien bei einem zirkulären Sekrettransport über das natürliche und akzessorische Ostium haben [5]. Haller-Zellen Haller-Zellen können als nach unten und lateral vorgesprosste Siebbeinzellen aufgefasst werden [16]. Je nach Ausgangspunkt drainieren sie in den mittleren oder oberen Nasengang. Sie imponieren als am Orbitaboden abgehängte pneumatisierte Zellen (Abb. 7). Stammberger [12] schlug deshalb den Begriff „infraorbitale Ethmoidalzellen“ vor. Ihre pathophysiologische Bedeutung haben sie in der dadurch bedingten langstreckigen Einengung des Kieferhöhlenostiums. Die Prävalenz beträgt 5–45 % [5]. Abb. 7 Computertomogramm einer Haller-Zelle mit Einengung des Ostiums bzw. Infundibulums des Sinus maxillaris × Unterer Nasengang Der untere Nasengang wird durch die Insertion der unteren Muschel nach kranial, durch den Nasenboden nach kaudal und die untere Muschel nach medial begrenzt. Für eine Fensterung im unteren Nasengang ist wichtig zu wissen, dass die dünnste Stelle der lateralen Nasenwand im unteren Nasengang 8 mm hinter dem Kopf der Muschel und 5 mm oberhalb des Nasenbodens gelegen ist. Anterior wird der Knochen dicker und beherbergt den Ductus nasolacrimalis (Abb. 8). Eine Verletzung des Gangs bei Fensterungen der Kieferhöhle ist möglich [8]. Abb. 8 Darstellung der Lagebeziehung zwischen einer Fensterung der Kieferhöhle im unteren bzw. mittleren Nasengang und dem Ductus nasolacrimalis (mit Guttaperchastift markiert) × Die individuelle anatomische Form im mittleren Nasengang lässt sich aufgrund der dargestellten Komplexität nur mittels Schichtbilddiagnostik, insbesondere Computertomographie, beurteilen. Das Verständnis der Komplexität der Anatomie ist Voraussetzung für eine erfolgreiche funktionelle endoskopische Kieferhöhlenchirurgie. Praktische Übungen an anatomischen Präparaten sind deshalb sinnvoll [19]. Physiologie Mukoziliare Clearance Bei der mukoziliaren Clearance handelt es sich um einen aktiven Sekrettransport, der im gesamten sinubronchialen System über das respiratorische Epithel vermittelt wird. Im Nasen- und Nasennebenhöhlenbereich hat sie den Zweck, Fremdkörper und Keime zu entfernen. Der Transport ist immer in Richtung des Nasopharynx gerichtet [9]. Frühe Studien zur mukoziliaren Clearance wurden von Proetz [10] und Hilding [4] durchgeführt. Hilding untersuchte genau die normalen Muster der mukoziliaren Clearance und die Auswirkungen verschiedener Operationstechniken. Allerdings hat erst Messerklinger [7] die normalen Pfade auf der Schleimhaut und ihre pathologischen Veränderungen exakt dokumentiert. In der Kieferhöhle findet die mukoziliare Clearance in einem stern- bzw. spiralförmigen Muster vom Boden des Sinus entlang der Wände in Richtung des natürlichen Ostiums statt (Video „Mukoziliare Clearance aus einer gesunden Kieferhöhle und offenem Ostium“). Von hier aus erfolgt die Drainage über das enge Infundibulum ethmoidale, um sich dann über den inferioren Anteil des Hiatus semilunaris im mittleren Nasengang mit dem Sekret aus dem Sinus frontalis und dem anterioren Ethmoid zu vereinigen. Der Schleimtransport wird durch die zilientragenden Zellen des respiratorischen Epithels vermittelt. Jede Zelle trägt ca. 250 Zilien mit einer Länge von 7 µm und einer Dicke von 0,3 µm. Jede Zilie besteht aus einer 9 + 2-Doppeltubuli-Struktur. Die Bewegung folgt einem zellulären Automatismus mit einer Frequenz von 10–40 Schlägen/s. Der Zilienschlag untergliedert sich in einen Wirkungs- und einen Erholungsschlag. Die Bewegung wird durch Adenosintriphosphat vermittelt. Die Schleimschicht auf der Kieferhöhlenschleimhaut wird in eine Solschicht (periziliare Flüssigkeit) und eine Gelschicht unterteilt. Durch den Zilienschlag in der Solschicht werden die Gelschicht und damit darin gefangene Partikel transportiert. Verschiedene Faktoren wie Austrocknung, Temperaturveränderung, pH-Veränderungen oder in die Nase eingebrachte Lösungen(z. B. Adrenalin, Kokain) können die Zilienfunktion beeinträchtigen und lähmen. Eine seltene Ätiologie der fehlenden Zilienfunktion stellt das Kartagener Syndrom dar (Inzidenz 1:15.000). Am häufigsten lähmen Entzündungsprozesse die Zilien, führen zu einer Desorientierung der Zilienschläge und vermindern die Zahl der zilientragenden Zellen. Eine zu dicke oder zu visköse Gelschicht macht die Zilienschläge wirkungslos. Läsionen in der Mukosa unterbrechen den gerichteten Transportweg. Obwohl die mukoziliare Clearance bei einer Infektion temporär sistieren kann, ist dies nicht immer der Fall. Nach Wiederherstellung der Clearance erfolgt der Sekrettransport immer in Richtung des Ostiums, selbst nach Anlage eines Fensters zum unteren Nasengang. Das Konzept der durch Schwerkraft vermittelten Drainage zum tiefsten Punkt ist deshalb mit der Kenntnis der mukoziliaren Clearance unvereinbar. Die Schlüsselelemente für eine normale Ventilation und einen intakten Sekrettransport und damit letztlich eine gesunde Kieferhöhlenschleimhaut sind ein durchgängiges Ostium, eine normale Zilienfunktion und eine korrekte Zusammensetzung des Kieferhöhlensekrets. Mikrobiologie Es besteht immer noch eine kontroverse Diskussion, ob die Kieferhöhle eine residente Bakterienflora hat oder keimfrei ist. Brook [2] konnte verschiedene Streptokokken, Staphylococcus aureus, Haemophilus parainfluenzae, Enterobacter, Anaerobier und andere grampositive und gramnegative Kokken in der Kieferhöhle nachweisen. Andere Autoren sind der Meinung, dass die Kieferhöhle normalerweise nicht von einer residenten Bakterienflora kolonisiert, ein Eindringen von Bakterien aus der Nasenhaupthöhle jedoch möglich ist [17]. Diese werden allerdings rasch durch die mukoziliare Clearance eliminiert, sodass eine gesunde Kieferhöhle i.d.R. keimfrei ist. Das Problem dieser Untersuchungen ist, dass die Proben durch die Mund- oder Nasenhöhle gewonnen werden müssen und damit kontaminiert sein können. Pathophysiologie der Kieferhöhle Exogene Faktoren, z. B. virale Rhinitis, Allergie, Verschleppung von odontogenen Keimen, können zu mehreren Veränderungen in der Physiologie der Kieferhöhle führen. Beispielsweise kommt es zu einer Schleimhautschwellung mit Obstruktion des Ostiums, die Sekretmenge und -viskosität nehmen zu, der Zilienschlag nimmt ab und wird desorientiert. Ferner begünstigen anatomische Variationen, Fremdkörper oder Raumforderungen die Verlegung des Ostiums (Abb. 9). Bei gleichzeitiger bakterieller Besiedelung entsteht eine akute bakterielle Sinusitis maxillaris. Je nach untersuchtem Krankengut, Untersuchungstechnik und zahnärztlichem Versorgungsstatus wird mit einem Anteil von 20–40 % odontogener Ursachen bei der Sinusitis maxillaris gerechnet [3]. Abb. 9 Pathophysiologie der Mukostase in der Kieferhöhle × Fazit für die Praxis Neben der direkten rhinogenen oder odontogenen Ursache sind die dargestellte Pathophysiologie und anatomische Varianten entscheidend für die Entstehung einer Sinusitis maxillaris. Die Entstehung einer Sinusitis maxillaris basiert immer auf einer gestörten Ventilation und Drainage. Eine intakte mukoziliare Clearance bei intaktem Kieferhöhlenostium verhindert die Entstehung einer Sinusitis. Die daraus abzuleitenden Konsequenzen für eine chirurgische Therapie der entzündlichen Kieferhöhlenerkrankung müssen deshalb sein: Weitestgehende Erhaltung der auskleidenden Schleimhaut, auch bei fortgeschrittenen entzündlichen Veränderungen und Beseitigung von Engstellen im Bereich des Ostiums zur Sicherstellung der Drainage und Ventilation. Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. M. Krimmel und S. Reinert geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. Anon JB et al (1996) Anatomy of the paranasal sinuses. Thieme, Stuttgart 2. Brook I (1981) Aerobic and anaeorbic bacterial flora of the normal maxillary sinuses. Laryngoscope 91:372–376 [PubMed] 3. 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