Das neue, seit Januar 2022 in Österreich gültige Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) [
1‐
3] stellt basierend auf der besonderen Berücksichtigung des Rechts auf Autonomie (siehe Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK Art. 5) und des
Rechts auf Leben (EMRK Art. 2) [
4‐
6] die Durchführung eines
assistierten Suizids und die
Beihilfe dazu straffrei mit der Begründung, dass aus dem Recht auf Leben keine Verpflichtung zum Leben abgeleitet werden kann. Die
Tötung auf Verlangen sowie die
Verleitung zum Suizid bleiben weiterhin verboten.
In Kanada und einigen europäischen Ländern ist es möglich, ausschließlich auf eigenen Wunsch der sterbewilligen Person Organe im Rahmen von „Medical Assistance in Dying“ (MAiD) zu spenden [
7‐
9]. MAiD würde bei uns am ehesten einer
Tötung auf Verlangen entsprechen bzw. in manchen Texten, die nicht unterscheiden, auch dem
Physician Assisted Suicide (PAS).
Die Arbeitsgemeinschaft Ethik der ÖGARI hat sich speziell mit dieser Thematik in ihrem Papier
Erweiterte Nomenklatur und Terminologie rund um die Situationen am Lebensende auseinandergesetzt [
10]. Die Inzidenz der MAiD und auch die der DCD (Donation after Circulatory Determination of Death: Organspende nach dem zu erwartenden, natürlichen Tod bei infauster Prognose) ist in allen Ländern, wo dies rechtlich erlaubt ist, steigend. In Ländern wie Belgien (seit 2005), Niederlanden (seit 2012), Kanada (seit 2019) und Spanien (seit 2021) gab es bisher insgesamt 286 Organspenden im Rahmen von MAiD/PAS. Die Organspende nach AS stellt einen Prozentsatz von 1 % (bis max. 14 %) aller durchgeführten DCD dar. Insgesamt ein noch kleiner, aber stetig wachsender Anteil und damit ein Grund, um grundsätzliche ethische Überlegungen anzustellen [
11]. (
Anmerkung: Weder Spanien noch Kanada gehören derzeit zum Eurotransplant-Netzwerk und es besteht derzeit auf nationaler und internationaler Ebene keine Bestrebung, Spanien in Eurotransplant zu integrieren).
Eine Organspende im Rahmen einer DCD nach MAiD in Ländern, in denen eine Tötung auf Verlangen erlaubt ist (z. B. Kanada) befolgt die „dead donor rule“, wie sie auch in Österreich für jede Organspende umgesetzt ist. In Kanada handelt es sich ausschließlich um Menschen, die freiwillig ihre Organe im Rahmen von PAS/MAiD/Tötung auf Verlangen spenden möchten, was in Österreich derzeit aufgrund der Gesetzeslage nicht möglich ist [
12,
13].
Zwischen DCD, z. B. nach Durchführung einer Therapiezieländerung (TZÄ), der Organspende bei bereits eingetretenem Tod durch den Nachweis des irreversiblen Ausfalles des ZNS (DBD = Donation after Brain Death) und der Organspende nach einem assistierten Suizid (AS) besteht einer der wesentlichen Unterschiede darin, dass es sich bei einem AS um ein bewusst herbeigeführtes Ende des Lebens durch Zuführen eines tödlich wirkenden Präparates (meist oral oder i.v., auch inhalativ) handelt, während sowohl bei der DCD als auch bei der DBD der Tod bei schwerer oder weit fortgeschrittener Erkrankung/nach einem schweren Unfall eintritt, häufig im Rahmen einer TZÄ, aber auch unter maximaler Therapie. Das Sterben im Rahmen von DCD bzw. DBD wird unter den strengen Kriterien der Hirntoddiagnostik bzw. einer TZÄ unter kontrollierten klinischen Bedingungen entsprechend dem aktuellen Stand der Wissenschaft und nach ärztlicher Erfahrung in einem Krankenhaus geprüft und dokumentiert [
14]. Im Gegensatz dazu findet der AS in Österreich gesetzlich vorgesehen im „privaten Rahmen“ und daher unter medizinisch „unkontrollierten“ Bedingungen statt, auch um das Ungewolltsein von „Sterbekliniken“ etc. mitzuteilen. Der „private Rahmen“ definiert sich als alles, was nicht „öffentlicher Rahmen“ ist, d. h. jeglicher Wohnort (z. B. zu Hause, aber auch Pflegeheim oder Hospiz, bei Freunden), im Hotelzimmer etc. Dadurch ist die Durchführung einer Organspende nach den Regeln einer DCD schon rein technisch in Österreich nicht möglich, da die engen zeitlichen Vorgaben für die Durchführung einer DCD (absolute funktionelle und warme Ischämiezeit) eine Organspende nach einem AS im privaten Rahmen rein logistisch unmöglich machen.
Weiters ist die Möglichkeit der Durchführung eines AS im Krankenhaus mit dem Ziel einer Organspende nach den Regeln einer DCD derzeit nicht im KAKuG (Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz; Infobox) verankert, wobei die Organspende nach der Feststellung des Todes durch eine:n Ärzt:in in Österreich laut StVfG prinzipiell erlaubt ist [
1].
Es ist auch zu bedenken, dass einige Vorerkrankungen (z. B. maligne, aber auch andere Erkrankungen, die eine Transplantation ausschließen) eine relative bzw. absolute Kontraindikation für eine DCD darstellen.
Zu beachten für eine Organspende im Rahmen einer DCD nach AS sind zusätzlich die jeweiligen Ausführungen der Landeskrankenanstaltengesetze sowie allfällige „standard operating procedures“ (SOP) und Leitlinien der einzelnen Krankenanstalten. Hier exemplarisch herausgenommen drei Beispiele, wonach die geregelte Durchführung einer DCD nach AS in diesen Settings logistisch schwierig bis unmöglich wäre:
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Die Landesgesundheitsagentur (LGA) Niederösterreich hat ein Schreiben herausgegeben, dass Klinikräumlichkeiten für den AS zwar zur Verfügung gestellt werden sollen, gleichzeitig aber festgelegt, dass Arbeitnehmer der LGA in keiner Weise am AS mitwirken dürfen, auch nicht an der Todesfeststellung. Demzufolge muss die Totenbeschau und alle weiteren Formalitäten nach AS die Polizei/Amtsärzt:in durchführen.
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Die KABEG (Kärntner Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft) sieht sowohl Aufklärung als auch Beihilfe zum AS nicht als ihre Aufgabe an. Es wird aber die Durchführung eines AS in der Krankenanstalt geduldet, wenn Patient:in nach den üblichen Aufnahmekriterien aufgenommen wurde, die Sterbeverfügung und das Präparat dabeihat und den AS selbständig durchführt.
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Der Wiener Gesundheitsverbund (WIGEV) hat festgelegt, dass eine Einbindung der WIGEV-Mitarbeiter:innen in die Durchführung eines AS nicht erlaubt ist, aber Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden. WIGEV fordert zusätzlich zur Sterbeverfügung das Vorliegen einer gültigen, verbindlichen Patient:innenverfügung. Die Feststellung der Entscheidungsfähigkeit der sterbewilligen Person soll durch eine:n Ärzt:in der WIGEV am Tag vor der geplanten Durchführung des AS durchgeführt werden. Sterbewillige Personen und Beihilfe leistende externe Personen müssen zwei Dokumente (Einverständniserklärung zu den institutionellen Voraussetzungen und Gebühreninformationsformular zu den entstehenden Kosten: Raumkosten, Reinigung/Zimmerdesinfektion, Totenbeschau und Leichengebarung) unterschreiben und die anfallenden Kosten entrichten. Sterbewillige Personen werden am Tag der Durchführung des AS aus der stationären Unterbringung entlassen und ambulant wieder aufgenommen. Das Zimmer wird zur Verfügung gestellt, wobei WIGEV-Mitarbeiter:innen keine Beihilfe leisten dürfen. Die Beeinträchtigung des laufenden Betriebes und Inanspruchnahme der WIGEV-Mitarbeiter:innen müssen möglichst vermieden werden.
Zu bedenken ist, dass für die Durchführung einer DCD zur Todesfeststellung ein
invasives Blutdruck-Monitoring bzw. eine
Echokardiographie vorgeschrieben ist (Dokumentation eines MAP < 40 mm Hg bzw. permanenter Schluss der Aortenklappe) [
12]. Solche Maßnahmen können abhängig von der Sichtweise des Betrachters unter Umständen bei einem AS als unverhältnismäßig und nicht indiziert erscheinen. Da diese Maßnahmen aber nur auf ausdrücklichen Wunsch und nach Aufklärung der sterbewilligen Person erfolgen würden, sind sie (insbesondere die transthorakale Echokardiographie, TTE) in Bezug auf das tatsächlich zugefügte Leid wahrscheinlich durchaus zumutbar.
Es wäre prinzipiell wichtig, auch die Frage nach der Intention für einen AS nochmals zu überdenken. Laut österreichischem Sterbeverfügungsgesetz ist die Durchführung eines AS an eine unheilbare oder schwere chronische Krankheit gebunden, wobei der Leidenszustand nicht anders abwendbar sein darf. Der alleinige Grund, Organe spenden zu wollen, ist derzeit in Österreich kein (ausreichender) Grund für die Durchführung eines AS und damit nicht erlaubt.
Diskussion
In Ländern, in denen eine Tötung auf Verlangen erlaubt ist (z. B. Niederlande, Belgien, Spanien, Kanada), können wir eine Zunahme von DCD nach Assistenz beim Sterben feststellen [
7]. Bei dieser Assistenz handelt es sich zumeist um eine Tötung auf Verlangen (MAiD), die in Österreich verboten ist, weniger häufig um einen ärztlich assistierten Suizid (PAS), bei dem der/die Patient:in das zum Tode führende Mittel im Sinne des AS letztlich selbst appliziert/einnimmt. Von manchen Autor:innen aus der englischsprachigen Literatur wird PAS von Medical Assistance in Dying (MAiD) unterschieden, von anderen nicht [
10,
11].
Die Durchführung einer Organspende im Rahmen einer DCD nach AS ist in Österreich derzeit nicht möglich. Da in Österreich nur der AS und die (u. a. auch ärztliche) Beihilfe zum AS straffrei gestellt sind und gesetzlich der „private Rahmen“ als Ort für die Durchführung eines AS vorgesehen ist, stellt sich derzeit in Österreich die Frage nach einer Organspende im Rahmen der DCD nach AS nicht (enge zeitliche Vorgaben für die Durchführung einer DCD; absolute funktionelle und warme Ischämiezeit).
Falls wir also ernsthaft über die Möglichkeit einer Organspende im Rahmen einer suizidalen Handlung in Österreich nachdenken wollten, müsste zunächst die mögliche Verortung für die Durchführung eines AS in ein Krankenhaus gesetzlich definiert werden. Grundsätzlich wirft die Frage, ob eine Organspende nach gewünschter assistierter Lebensbeendigung in Österreich klinische Praxis werden sollte, neben rechtlichen auch ethische Fragestellungen auf: Man kann in einer Organspende nach AS auch eine entwürdigende „Verzweckung“ des Todes sehen, wobei sich jegliches „Material“ bis zum letzten „rentieren“ muss – eine Ansicht, die eher in puritanisch geprägten Länden vorherrscht, Spanien ist hier eine nicht ganz leicht argumentierbare Ausnahme. Man kann durchaus nicht immer davon ausgehen, dass jeder Mensch seine Organe nur als „Material“ mit Wiederverwertungspotenzial sieht. Für manche sterbewillige Person wird es so sein, dass sie ihre Organe freiwillig und gerne „für einen guten Zweck“ anderen überlässt, für andere wird es aber durchaus auch nicht so sein. Man kann demzufolge die DCD nach AS/Tötung auf Verlangen nicht generell als eine anzustrebende Praxis im Sinne einer guten Qualität am Lebensende für alle Menschen annehmen.
Unabhängig von der Diskussion rund um die Sterbehilfe und AS, die durch das neue Sterbeverfügungsgesetz in Österreich abgebildet wird, wäre es generell sinnvoll und notwendig, zunächst bessere gesellschaftliche Rahmenbedingungen für einen bewussteren Umgang mit dem Thema Lebensende zu schaffen. Dies bedeutet die Notwendigkeit einer schrittweisen Enttabuisierung des Themas Tod und Sterben, die mit einer umfassenden Aufklärung und einer breiten öffentlichen Diskussion zu allen Themen rund um die Situationen am Lebensende verbunden sein sollte. Zusätzlich sind maximale Anstrengungen für einen raschen und flächendeckenden Ausbau palliativmedizinischer Versorgung in Österreich sowie die umfassende Aufklärung der Bevölkerung über die Möglichkeiten moderner Palliativmedizin notwendig. Eine der Ursachen für den Wunsch nach einem selbstbestimmten Sterben ist auch die Angst vieler Menschen, der modernen Machbarkeitsmedizin in die Hände zu fallen, verlängert leiden zu müssen und nicht „gut sterben zu dürfen“. Bei schwerstkranken Menschen rechtzeitig das Therapieziel von Heilung in Richtung Palliation zu ändern, um Übertherapie und deren Folgen zu vermeiden, erfordert auch ein Umdenken im Rahmen ärztlicher Entscheidungsfindung, um den Weg wieder hin zu einer menschlichen Medizin zu finden – trotz aller technischen Möglichkeiten [
15‐
17]. Wir sollten endgültig wegkommen vom Gedanken, den Tod als ärztliches Versagen zu sehen, und wieder akzeptieren lernen, dass der Tod trotz großer medizinischer Machbarkeit ein immanenter Teil des Lebens ist. Mit den Methoden moderner Medizin können wir dem Tod zwar durchaus ein „Schnippchen schlagen“, dennoch sollten wir wieder größeres Augenmerk darauf richten, rechtzeitig zu erkennen, wenn technisch Machbares keine Indikation und kein Therapieziel mehr hat [
14]. Ärztliche Kunst ist es auch, Sterben rechtzeitig zuzulassen und Leiden nicht zu verlängern, wenn klar ist, dass der Tod unausweichlich ist. In einem solidarischen Gesundheitssystem mit gut ausgebauten palliativmedizinischen Strukturen, in deren Hände sich Menschen vertrauensvoll am Ende ihres Lebens zu begeben gewillt sind, sollte der aktiv herbeigeführte Tod eines Menschen (AS, Tötung auf Verlangen) immer die Ausnahmesituation am Lebensende bleiben – und sich auf den Fall beschränken, wenn es keine andere gute (palliativmedizinische) Lösung für das Problem der sterbewilligen Person gibt. Es wäre für uns alle (nicht nur für Menschen, die in medizinischen Berufen tätig sind) wichtig, sich ein gewisses „Erschrecken“ über die Tötung/Selbsttötung eines Menschen zu bewahren und dies nicht zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen.
Die Organspende im Rahmen des AS ist demnach aus besprochenen Gründen derzeit in Österreich rechtlich und technisch keine Option.
Es sei an dieser Stelle noch auf die DFP-Fortbildung der ARGE Ethik der ÖGARI hingewiesen, in der es Empfehlungen für die jeweiligen Häuser der österreichischen Gesundheitseinrichtungen auch hinsichtlich Aufklärung und notwendiger/empfohlener Inhalte für Handlungsanweisungen für deren Mitarbeiter:innen im Umgang mit dem Thema AS gibt [
18].
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