Kognitionstraining lindert Depression – auch ohne Gleichstrom

Ein spezielles Kognitionstraining scheint Depressionen zu lindern, die gleichzeitige Gleichstromstimulation hat jedoch keinen zusätzlichen Nutzen. Gegen Depressionen werden mittlerweile auch nichtinvasive Stimulationsverfahren wie die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) geprüft, und im erweiterten Sinne kann man auch ein kognitives Training zu den Stimulationstherapien zählen. Mit solchen Verfahren soll der „negativity bias“ bei Depressiven vermindert werden: Negative Gedanken erfahren verstärkte Aufmerksamkeit und entziehen sich zunehmend der kognitiven Kontrolle, was mit einer Aktivitätsminderung im präfrontalen Kortex (PFC) einhergeht. „Der Negativity Bias ist ein wesentlicher Mechanismus für die Entstehung und Aufrechterhaltung der depressiven Symptomatik“, erläuterte Professor Christian Plewnia von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Tübingen auf dem virtuellen DGPPN-Kongress. Präfrontale Aktivitätssteigerung Über die anodale tDCS lassen sich anhaltende Aktivitätssteigerungen in stimulierten Kortexarealen erzielen. Die Hoffnung ist also, über eine PFC-Stimulation Depressiven die kognitive Kontrolle über ihre Gedanken wieder zurückzugeben. Voruntersuchungen des Forschungsverbunds „German Center for Brain Stimulation“ hätten gezeigt, dass die PFC-Stimulation tatsächlich den Negativity Bias abschwächt und das Training der kognitiven Kontrolle unterstützt. Dies gelang vor allem mit einer Stimulation des linken dorsolateralen PFC (DLPFC) bei 1 mA, nicht jedoch bei 2 mA, so Plewnia. Eine Möglichkeit, die kognitive Kontrolle zu trainieren und zu prüfen, bietet die „Paced Auditory Addition Task“ (PASAT): Die Probanden hören Zahlen, die sie addieren müssen. Das Ergebnis geben sie über einen Bildschirm ein. Ist es richtig, hören sie die nächste zu addierende Zahl mit einem grünen Bildschirm, ist es falsch, mit einem roten. Mehrere richtige Angaben beschleunigen die Zahlenwiedergabe – sie müssen also immer schneller addieren, mehrere falsche bremsen sie. Der Test ist daher adaptiv, jeder kommt dabei irgendwann an sein Limit, so der Experte. Und der Test sorgt für Ärger und Frustration, wenn Fehler gemacht werden. In Untersuchungen mit gesunden Probanden konnten die Psychiater um Plewnia demonstrieren, dass der Ärger bei einer anodalen Gleichstromstimulation ab- und die Leistung im PASAT zunimmt. Die präfrontale tDCS scheint also die kognitive Kontrolle zu verbessern. Ob das auch bei Depressiven klappt und sich in eine signifikante Reduktion der Depressionssymptome übersetzen lässt, haben die Forscher jetzt in einer Pilotstudie mit 57 medikamentös stabil eingestellten Patienten geprüft. Alle bekamen während des PASAT eine Anode über den linken DLPFC und die Kathode an den Oberarm. Jeweils rund ein Drittel wurde mit 1 mA, 2 mA oder einer Scheinstimulation behandelt, und zwar in zwölf Sitzungen über vier Wochen hinweg. Zum Ende der Studie war der Wert auf der MADRS-Depressionsskala ausgehend von rund 28 Punkten um 11 Punkte gesunken – ein Rückgang um 37%. Dies war jedoch in allen drei Gruppen gleichermaßen der Fall, es gab noch nicht einmal nennenswerte numerische Unterschiede zwischen den Gruppen. Eine Folgeuntersuchung nach drei Monaten zeigte zwar numerisch bessere Werte in der Gruppe mit 1 mA, allerdings war der Effekt auch hier statistisch nicht signifikant. Erstaunlicherweise hatte die tDCS auch keinen Einfluss auf die Leistung beim PASAT – diese war in allen drei Gruppen ähnlich gut. Kombination mit Psychotherapie Wie lassen sich die Resultate nun erklären? Zum einen könnte das Training mit dem PASAT bereits die kognitive Kontrolle verbessert haben – der Test dürfte ebenfalls zu einer verstärkten Aktivierung des PFC führen. Die tDCS kann diesen möglicherweise nicht nennenswert verstärken. Den Effekt des PASAT auf die Depressionssymptomatik will Plewnia nun getrennt untersuchen. Möglicherweise habe man aber auch zu wenige Stimulationssitzungen angesetzt oder die Effekte zeigten sich erst mit einer größeren Verzögerung, gab der Experte zu bedenken. Vielleicht bringt die präfrontale tDCS mehr in Kombination mit einer Psychotherapie, das hofft Professor Malek Bajbouj, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin. Er verwies auf eine laufende dreiarmige Studie mit 192 depressiven Patienten an sechs Zentren in Deutschland. Alle Patienten erhalten eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT), ein Drittel kombiniert mit einer tDCS, ein Drittel mit Scheinstimulation und die übrigen ohne Stimulation. Da auch die KVT mit einer präfrontalen Aktivierung einhergehe, verspreche man sich eine Unterstützung der KVT durch die tDCS. Eine erste Auswertung ergab eine Verbesserung der neurokognitiven Leistung in allen drei Gruppen. Die Auswirkungen auf die Depressionssymptome werden noch untersucht. Empfehlung der Redaktion Berichte vom virtuellen DGPPN-Kongress Das Dossier zum Psychiatrie-Kongress In unserem Dossier zum DGPPN-Kongress erwarten Sie u.a. Beiträge zu der Evidenz von Cannabinoiden bei psychiatrischen Erkrankungen. Und sie lesen von ersten Erfahrungen mit Ketamin bei therapieresistenten Depressionen oder wie Kognitionstraining bei affektiven Störungen helfen kann. basierend auf: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), virtuell, 26.11.– 28.11.2020. Symposium S-003. "Von der Neurophysiologie zur Therapie: neue Ergebnisse zu Hirnstimulationsverfahren aus dem German Center for Brain Stimulation BMBF-Verbundprojekt."

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