Multiple Sklerose: Auf zu neuen Therapiezielen!

Schubreduktion war gestern – inzwischen geht es in der MS-Therapie vor allem um die Verhinderung von Nervenschäden und um den Rückgang vorhandener Behinderungen. Lange Zeit hatten Ärzte in der MS-Therapie primär die Vermeidung neuer Schübe vor Augen. Das hat sich in den vergangenen Jahren deutlich geändert. So stellten Schübe bekanntlich nur die Spitze des Eisbergs der MS-Aktivität dar, sagte Professor Gavin Giovannoni von der Queen Mary University in London auf der ECTRIMS-Tagung in Stockholm. Dank der neuen hochwirksamen MS-Therapeutika könnten inzwischen auch anspruchsvollere Therapieziele erreicht werden. Giovannoni verwies auf das stetig erweiterte NEDA-Konzept (no evidence of disease activity), das neben der Vermeidung von Schüben, MRT-Läsionen und Behinderungsprogression (NEDA-3) nun auch eine Normalisierung der Hirnatrophie (NEDA-4) und von Liquorbiomarkern (NEDA-5) einschließt. Da es letztlich um eine Vermeidung von Endorganschäden gehe, sei es Zeit, auf einen kompletten Stillstand der Krankheitsaktivität hinzuarbeiten. Dies gelinge jedoch häufig nur mit hochwirksamen Arzneien in einem frühen MS-Stadium. NEDA lässt sich nach Auffassung des Neurologen jedoch noch steigern – zu NEDADI: NEDA and Disability Improvement. Giovannoni verwies auf gepoolte Langzeitdaten mit Alemtuzumab – hiermit hatten rund 40% der Patienten im Laufe von sieben Jahren einen Rückgang der Behinderungsprogression erreicht. Als weiteres Therapieziel sieht er die Vermeidung von PIRA (progression independent of relapse activity) – also der schubunabhängigen Krankheitsprogression. Dies sei eine der härtesten Nüsse, die es zu knacken gelte. Etwa zwei Drittel der Krankheitsprogression ließen sich nicht direkt auf Schübe zurückführen. Diese beruhten vielmehr auf aktivierten Mikrogliazellen, intrathekalen B-Zell-Follikeln, Plasmazellen und anderen Faktoren. „Ich bin nicht überzeugt davon, dass derzeit auch nur eine der antientzündlichen Therapien auf solche Prozesse einwirkt“, sagte der Experte. Inzwischen spreche viel dafür, dass vor allem intrathekale Plasmazellen die PIRA vorantreiben. Dieser Prozess lasse sich derzeit wohl nur durch eine frühe Therapie verhindern. Der Neurologe verwies auf Zehn-Jahres-Daten einer kleinen Studie mit Cladribin: Zu Beginn hatten alle Patienten oligoklonale Banden im Liquor, nach der Cladribin-Induktionstherapie waren diese bei 55% verschwunden und tauchten über die folgenden Jahre nicht mehr auf. Solche Patienten wiesen einen weitgehend stabilen EDSS-Wert auf. Empfehlung der Redaktion Highlights vom ECTRIMS-Kongress 2019 Das European Committee for Treatment and research in multiple sclerosis (ECTRIMS) traf sich zu seinem Kongress 2019 in Stockholm. Diskutiert wurden u.a. B-Zellen als neue Therapieoption, der Nutzen der Stammzelltransplantation oder was beim Impfschutz von MS-Patienten zu beachten ist. Einen weiteren Hinweis auf die Bedeutung von B-Zellen im Gehirn erkennt der Experte in Studiendaten zu Ocrelizumab: Hier profitierten Patienten mit höheren Dosierungen stärker – unabhängig von Schub- und Läsionszahl. „Vielleicht benötigen wir hirngängigere MS-Medikamente, um solche B-Zellen loszuwerden“, sagte Giovannoni. Schließlich verwies der Neurologe auf neue Ziele bei der Remyelinisierung und Neuroprotektion: Hier seien bald Resultate einer weiteren Studie mit hochdosiertem Biotin sowie einer weiteren Studie mit dem Anti-Lingo-1-Antikörper Opicinumab zu erwarten. Auch der Antikörper Elezanumab, der sich gegen RGMa (repulsive guidance molecule A) richtet und die Remyelinisierung begünstigen soll, wird gerade in Phase 3 gegen MS geprüft. Hinweise aus kleineren Studien deuteten auf neuroprotektive Wirkungen bestimmter Antikonvulsiva. Derzeit werden Phenytoin und Oxcarbazepin in Phase-3-Studien als Add-on-Therapeutika untersucht, Letzteres in Kombination mit Ocrelizumab bei primär-progredienter MS, erläuterte Giovannoni. basierend auf: 35th Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS), 11-13 September 2019, Stockholm; Scientific Session 3: DMT in RRMS Diese Berichterstattung wurde durch finanzielle Unterstützung des Unternehmens Roche Pharma AG ermöglicht. Das Unternehmen hatte keinen Einfluss auf die Inhalte der Berichterstattung.

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