Auch milde MS-Schübe trüben die Prognose

Sind milde MS-Schübe ebenfalls ein Grund für eine Therapieeskalation? Eine große Registeranalyse spricht klar dafür: Das Risiko für eine Behinderungsprogression ist höher als bei MS-Kranken ohne neue Schübe, es sei denn, sie erhalten hochwirksame Arzneien. Einige hochwirksame krankheitsmodifizierende Therapeutika (DMT) sind in der EU nur für MS-Kranke mit Schüben zugelassen, die zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Alltagsfunktionen führen. Inzwischen wird jedoch von vielen Experten jeder MS-Schub als Hinweis auf eine wiederaufflammende MS-Aktivität und damit als Grund für eine Therapieeskalation verstanden. Resultate einer Registeranalyse, die auf der MS-Tagung ECTRIMS in Amsterdam vorgestellt worden sind, scheinen diesen Ansatz zu stützen: Danach treiben auch relativ milde Schübe in frühen MS-Phasen die Krankheitsprogression voran. Zu diesem Schluss kommt ein Team um Dr. Cyrus Daruwalla von der Universität in Cambridge in Großbritannien nach einer Auswertung des internationalen MSBase-Registers mit knapp 80.000 MS-Kranken aus 41 Ländern. Die Neurologinnen und Neurologen haben sich vor allem dafür interessiert, welchen Einfluss milde Schübe, die in den ersten beiden Jahren nach der MS-Diagnose auftreten, auf die Prognose haben. Konkret ging es um eine über 90 Tage hinweg bestätigte EDSS-Progression von mindestens einem Punkt. Zudem schauten sie nach der Progression in Abhängigkeit von der Therapie. Sie fanden rund 5000 noch unbehandelte MS-Kranke, von denen 285 einen oder mehrere milde MS-Schübe innerhalb der ersten beiden Krankheitsjahre entwickelt hatten. Als mild galten alle Schübe, welche die Alltagsfunktionen nicht beeinträchtigten. Während einer Nachbeobachtungsdauer von acht Jahren entwickelten rund 40% der MS-Kranken ohne Schübe und etwa 50% mit leichten Schüben eine Behinderungsprogression. Unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, EDSS-Basiswert und der MS-Aktivität in der Vergangenheit war das Progressionsrisiko in der Gruppe mit milden Schüben um 29% erhöht. Seltener MS-Progression unter hochwirksamen Therapeutika Ein ähnliches Bild ergab sich unter den rund 8300 MS-Kranken mit Basistherapeutika. Von diesen hatten etwa 1100 in den ersten beiden Jahren milde Schübe entwickelt und 7200 keine. Das Progressionsrisiko bei milden Schüben war um ein Drittel erhöht. Empfehlung der Redaktion Kongressdossier Highlights vom ECTRIMS-Kongress 2022 Im Dossier finden Sie unsere Highlights und Berichte vom 38. Kongress des European Committee for Treatment and Research in MS (ECTRIMS): Wann ist die beste Zeit für eine hochaktive Therapie? Welche Entwicklungen gibt es rund um Biomarker zur Früherkennung und zum Monitoring? Neue Daten gibt es außerdem zu bewährten Medikamenten. Ganz anders die Situation für die 4100 MS-Kranken mit hochwirksamen Therapien: Hiervon entwickelten nur rund 20% innerhalb von acht Jahren eine Behinderungsprogression, die Rate war bei den 3500 ohne Schübe praktisch genauso hoch wie bei den 600 mit milden Schüben. Danach dürfte eine hochwirksame Therapie bei leichten Schüben das Progressionsrisiko auf das Niveau von Betroffenen ohne Schübe reduzieren. In einem weiteren Schritt verglich das Team um Daruwalla Personen mit milden und solche mit moderaten oder schweren Schüben, die zu Alltagseinschränkungen oder Klinikaufenthalten führten. Tendenziell entwickelten MS-Kranke mit moderaten oder schweren Schüben häufiger eine Behinderungsprogression als solche mit milden Schüben – am deutlichsten waren die Unterschiede bei den unbehandelten MS-Kranken. Bei den behandelten MS-Kranken zeigten sich hingegen nur geringe und nicht signifikante Unterschiede, egal ob sie mit Basistherapeutika oder hochwirksamen Mitteln behandelt wurden. Wiederum war aber der Anteil der Betroffenen mit einer EDSS-Progression unter den hochwirksamen Therapeutika am geringsten. Für Daruwalla ergeben sich daraus mehrere Schlussfolgerungerungen: Zum einen erhöhen auch milde MS-Schübe in den ersten Krankheitsjahren das Progressionsrisiko, zum anderen lässt sich das Risiko durch hochwirksame Medikamente deutlich senken. Für ihn seien daher auch milde, nicht behindernde Schübe ein Grund, über eine Eskalation mit hochwirksamen DMT nachzudenken. Quelle: Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS), Amsterdam 26–28.10.2022. Late Breaking Abstracts. Cyrus Daruwalla: Early non-disabling relapses are associated with a higher risk of disability accumulation in people with relapsing-remitting multiple sclerosis.

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