Neue Biomarker für progrediente MS

Lässt sich über eine Serum- oder Liquoranalyse erkennen, wer dabei ist, eine progrediente MS zu entwickeln, und wie diese verläuft? Neue Biomarker lassen hoffen, dass dies bald möglich ist. Der Beginn einer sekundär progredienten MS ist nicht leicht zu erkennen, Biomarker könnten dabei helfen. Mit solchen Markern ließen sich auch besser geeignete Patienten für klinische Studien identifizieren oder solche, die von Medikamenten profitieren, die bei progredienter MS indiziert sind. Auf dem Kongress der MS-Gesellschaft ECTRIMS in Amsterdam haben Forschende nun einige vielversprechende Kandidaten vorgestellt. Dr. Nicolas Fissolo vom Centre d'Esclerosi Mútiple de Catalunya (Cemcat) in Barcelona verwies auf eigene Untersuchungen mit dem Serin-Protease-Hemmer Serpina-3, bekannt auch als Alpha-1-Antichymotrypsin. Entdeckt wurde die Bedeutung des Alpha-Globulin-Glykoproteins in einem MS-Mausmodell, hier war es vor allem in der späten Phase der Erkrankung während der Neurogenese hochreguliert, etwa im Kleinhirn und Hippocampus. Untersuchungen bei MS-Kranken deuteten ebenfalls auf höhere Liquorwerte im Vergleich zu gesunden Personen, und hier vor allem bei solchen mit progredienten MS-Formen, besonders bei primär progredienter MS. Als weitere Biomarker könnten sich Chitinase-3-ähnliche Proteine (CHI3L) erweisen. Solche Proteine dienen etwa dem Abbau von Chitin bei Insekten und Pilzen oder Organismen, die sich davon ernähren. Bei Menschen haben sie jedoch eine ganz andere Funktion, hier sind sie etwa an neurodegenerativen Entzündungsprozessen beteiligt, eine gewisse Bedeutung wird nicht zuletzt in der Alzheimerpathogenese angenommen. Liquorspiegel der L1-Variante (CHI3L1) steigen bereits beim Beginn einer MS deutlich, besonders hoch seien die Werte jedoch unter Personen mit progredienten MS-Formen, erläuterte Fissolo. Erhöhte Werte lassen sich bei solchen MS-Kranken auch im Serum nachweisen, die Liquordiagnostik scheint jedoch präziser zu sein. Gute Differenzierung zwischen schubförmiger und progredienter MS Fissolo verwies auf eine Arbeit, nach der sich eine progrediente MS sehr gut von einer schubförmigen unterscheiden lässt, wenn L1 mit den bekannten Markern NFL (Leichtkettenneurofilament) und GFAP (Glial Fibrillary Acidic Protein) kombiniert wird. Damit wurde, bezogen auf Sensitivität und Spezifität, ein AUC-Wert von 0,81 erreicht, im Serum war die Trennschärfe mit einem AUC-Wert von 0,68 aber deutlich geringer. Empfehlung der Redaktion Kongressdossier Highlights vom ECTRIMS-Kongress 2022 Im Dossier finden Sie unsere Highlights und Berichte vom 38. Kongress des European Committee for Treatment and Research in MS (ECTRIMS): Wann ist die beste Zeit für eine hochaktive Therapie? Welche Entwicklungen gibt es rund um Biomarker zur Früherkennung und zum Monitoring? Neue Daten gibt es außerdem zu bewährten Medikamenten. Auch ein anderes Mitglied der Chitinase-Familie, die L2-Variante (CHI3L2), scheint in die Neuroinflammation bei progredienter MS involviert zu sein. Eine hohe L2-Expression geht dabei mit einer besonders raschen Behinderungsprogression einher – das konnten Fissolo und Mitarbeiter in einer Langzeituntersuchung bei 69 Erkrankten mit progredienter MS zeigen: Je höher die L2-Werte im Liquor zu Beginn, umso stärkere Behinderungen zeigten sich im Laufe von bis zu zwölf Jahren. L2 könnte also eher als Prognose- und Verlaufsmarker dienen. Bei der Unterscheidung zwischen langsam und schnell verlaufenden Erkrankungen wird ein AUC-Wert von 0,73 erreicht, was sich in eine Spezifität von 63% bei einer Sensitivität von 90% übersetzt. Auch NFL könnte sich zur langfristigen Prognose eignen: Je höher der NFL-Wert, umso stärker der neuronale Schaden, und das sollte sich mit der Zeit auch in einer beschleunigten Progression bemerkbar machen. Tatsächlich gingen hohe NFL-Werte in einer Untersuchung bei Personen mit progredienter MS mit stärkeren Behinderungen nach zwölf Jahren einher, aber nicht nach sechs oder zwei Jahren. Ein anderer Ansatz zielt darauf, Unterschiede bei sich rasch verschlechternden und stabilen Personen mit progredienter MS zu finden. Ein Team um Dr. Johanna Oechtering von der Universitätsklinik in Basel hat auf diese Weise fünf Biomarkerkandidaten zur Differenzierung ausfindig gemacht, darunter Interleukin-15 und ein Hepatitis-A-Rezeptor. Die Forschenden fanden zudem fünf potenzielle Verlaufsmarker, diese müssen nun weiter evaluiert werden. Quelle: Congress of the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS), Amsterdam 26–28.10.2022. Hot Topic 3: Novel body fluid biomarkers; Free Communications 1: Neurobiology of MS

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