Aggressive MS: HSCT schlägt DMT

Eine autologe Stammzelltransplantation kann neue MS-Schübe immer noch besser verhindern als hochwirksame krankheitsmodifizierende Therapien. Bei der Behinderungsprogression schrumpft der Vorteil allerdings. Die autologe hämatopoetische Stammzelltherapie (HSCT) gilt als die Ultima Ratio bei einer aggressiven MS und kann einen erfolgreichen Neustart des Immunsystems bewirken, ist jedoch mit erheblichen Risiken und auch Todesfällen verbunden. Zwar ließ sich die Sicherheit in den vergangenen beiden Dekaden deutlich verbessern, sodass manche Experten auch schon früher im Krankheitsverlauf auf die HSCT setzen – je früher sie zum Einsatz kommt, umso nachhaltiger ist der Erfolg. Auf der anderen Seite bieten sich bei aggressiven Formen die neuen hochwirksamen krankheitsmodifizierenden Therapien (DMT) als Alternativen an – sie gehen deutlich seltener mit schweren Nebenwirkungen einher. Wie groß die Vorteile der HSCT gegenüber einer modernen DMT sind, ist bislang jedoch kaum geprüft worden. In der vor vier Jahren veröffentlichten kontrollierten Studie MIST (Multiple Sclerosis International Stem Cell Transplant) war eine nichtmyeloablative Stammzellbehandlung einer DMT bei 110 MS-Kranken überlegen. Die Patientinnen und Patienten waren zuvor überwiegend mit Basistherapeutika behandelt worden und hatten unter der Behandlung weitere Schübe entwickelt. Sie erhielten nun die HSCT oder eine eskalierende DMT, zumeist mit Natalizumab oder Fingolimod. Nach einem Jahr hatten 2% mit der HSCT und 24% unter DMT eine EDSS-Progression entwickelt, auch bei der Zahl der Schübe und MRT-Läsionen war die HSCT der DMT weit überlegen. Allerdings hatte man damals nicht gegen B- und T-Zell-depletierende Therapien geprüft. In einer 2022 beim ECTRIMS-Kongress veröffentlichten Registeranalyse mit 5000 MS-Kranken ergaben sich nach drei Jahren praktisch keine Vorteile einer HSCT gegenüber einer Therapie mit Ocrelizumab: Schübe wurden ähnlich wirksam reduziert, auch bei der Krankheitsprogression zeigten sich kaum Unterschiede. Für die HSCT spricht wiederum eine Analyse, die auf dem aktuellen Kongress der beiden MS-Gesellschaften ECTRIMS und ACTRIMS in Mailand vorgestellt worden ist. Ein Team um Dr. Antonio Scalfari vom Imperial College in London hat Angaben von Personen mit schubförmiger MS ausgewertet, die in London ihre Therapie eskalierten und entweder eine HSCT, eine DMT mit Alemtuzumab oder eine mit Ocrelizumab erhielten. Die Forschenden wählten die MS-Kranken so aus, dass demografische Angaben und Krankheitscharakteristika möglichst ähnlich waren (propensity score matching). Übrig blieben 103 Patientinnen und Patienten mit HSCT, 204 mit Alemtuzumab sowie 314 mit Ocrelizumab. Im Mittel waren die Betroffenen seit rund zehn Jahren an MS erkrankt, hatten einen EDSS-Wert von 5,0 sowie eine jährlich Schubrate von 0,5. In allen drei Gruppen hatte rund die Hälfte schon zuvor hochwirksame DMT erhalten. Drei- bis vierfach höhere Schubrate unter DMT Während einer medianen Nachbeobachtungsdauer von 43 Monaten entwickelten 10% nach HSCT und 25% nach Alemtuzumab weitere Schübe, ähnlich viele zeigten eine neue MRT-Aktivität. Mit Alemtuzumab lag die jährliche Schubrate rund vierfach höher (0,078 versus 0,020), umgekehrt war über den gesamten Verlauf das Risiko für neue Schübe nach einer HSCT um 76% reduziert, das für neue MRT-Aktivität um 66%. Erstaunlicherweise übersetzte sich dies nicht in einen Vorteil bei der Behinderungsprogression: Eine solche erlitten 31% nach HSCT und 29% nach einer DMT mit Alemtuzumab. Immerhin verbesserte sich der EDSS-Wert bei deutlich mehr Menschen mit HSCT als DMT (19% versus 4%). Empfehlung der Redaktion ECTRIMS 2023 Kongress der European und American Committee for Treatment and Research in MS 2023 11.-13. Oktober 2023 | Mailand Auf der gemeinsamen Tagung der ECTRIMS und ACTRIMS in Mailand wurden neue Daten zum Management der Multiplen Sklerose vorgestellt: So verzögert eine frühe hochwirksame Therapie langfristig neue Behinderungen und eine Stammzelltherapie erweist sich als besonders wirksam gegen aggressive Verläufe. Viele neue Erkenntnisse gibt es auch zur Therapie älterer Erkrankter. Lesen Sie in unserem Kongressdossier was auf der Tagung diskutiert wurde. Noch geringer waren die Unterschiede beim Vergleich mit Ocrelizumab und einer medianen Nachbeobachtungsdauer von 35 Monaten. Mit dem CD20-Antikörper lag die jährliche Schubrate etwa dreifach höher als unter der HSCT (0,067 versus 0,026), jeweils 18% und 10% hatten neue Schübe entwickelt. Keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen ließen sich bei der bestätigten Behinderungsprogression und EDSS-Verbesserung beobachten. Allerdings mahnte Scalfari bei der Interpretation zur Vorsicht. Die Nachbeobachtungsdauer unter Ocrelizumab war deutlich kürzer als unter Alemtuzumab, auch sei der CD20-Antikörper doch etwas häufiger bei weniger aktiver MS zum Einsatz gekommen. Der Neurologe sieht daher eher Alemtuzumab als geeigneten Vergleichspartner für eine HSCT, und bei diesem Vergleich habe sich die Stammzelltransplantation dann doch in allen Punkten bis auf die Behinderungsprogression als wirksamer erwiesen. Dass es unter der HSCT ähnlich oft zu einer EDSS-Progression kam, führt Scalfari auch auf den bereits sehr hohen EDSS-Wert zu Beginn der Eskalation zurück. Bei solchen Patientinnen und Patienten sei mit einem hohen Maß an entzündungsunabhängigen Krankheitsprozessen zu rechnen. Wie immer bei retrospektiven Analysen können diverse Faktoren die Resultate verzerren. Möglicherweise hatten trotz aller Adjustierungen MS-Kranke mit HSCT einen aggressiveren Verlauf und damit ein höheres Progressionsrisiko.

Die Highlights vom Kongress des American College of Cardiology 2024

Springer Medizin

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