KI-Modell sagt stille MS-Progression voraus

Entwickeln Menschen nach einem ersten MS-Schub relativ schnell eine entzündungsunabhängige Krankheitsprogression, ist die Prognose besonders ungünstig. Ein KI-Modell basierend auf MRT-Daten könnte helfen, solche Personen früh zu identifizieren. In der MS-Frühphase sorgen primär Schübe für anhaltende Behinderungen, allerdings beginnt auch die entzündungsunabhängige „stille Progression“ recht früh im Krankheitsverlauf. Macht sich diese schon in den ersten fünf Jahren nach der Diagnose durch neu auftretende und anhaltende Behinderungen als PIRA (progression independent of relapse activity) bemerkbar, ist die Prognose eher ungünstig. Bisher ist bei einer neu diagnostizierten MS das Alter der wichtigste Prädiktor für eine PIRA, möglicherweise könnte sich auch in den ersten MRT-Aufnahmen schon zeigen, wer besonders rasch in die stille Progression gleitet, erläuterte Dr. Llucia Coll vom MS-Zentrum CEMCAT in Barcelona. Auf der Tagung der MS-Gesellschaften ECTRIMS und ACTRIMS in Mailand stellte sie nun ein Modell basierend auf maschinellem Lernen vor, das anhand der ersten MRT-Aufnahmen nach einem demyelinisierenden Ereignis recht präzise ermitteln kann, wer ein besonders hohes PIRA-Risiko trägt. Genauigkeit von 72% Das Modell basiert auf Daten der Barcelona-CIS-Kohorte mit 1459 Patienten, die ein klinisch isoliertes Syndrom entwickelt hatten und per MRT untersucht worden waren. Ein Team um Coll fütterte ein Deep-Learning-Netzwerk mit T1- und T2-MRT-Aufnahmen aus den ersten sechs Monaten nach dem ersten Schub sowie mit Angaben, ob und wann in der Nachbeobachtungsdauer eine PIRA diagnostiziert worden war. Das Modell sollte dann in der Lage sein, den Zeitpunkt der ersten PIRA bei einzelnen MS-Kranken vorherzusagen. Empfehlung der Redaktion ECTRIMS 2023 Kongress der European und American Committee for Treatment and Research in MS 2023 11.-13. Oktober 2023 | Mailand Auf der gemeinsamen Tagung der ECTRIMS und ACTRIMS in Mailand wurden neue Daten zum Management der Multiplen Sklerose vorgestellt: So verzögert eine frühe hochwirksame Therapie langfristig neue Behinderungen und eine Stammzelltherapie erweist sich als besonders wirksam gegen aggressive Verläufe. Viele neue Erkenntnisse gibt es auch zur Therapie älterer Erkrankter. Lesen Sie in unserem Kongressdossier was auf der Tagung diskutiert wurde. Evaluiert wurde das Modell schließlich bei 259 Patientinnen und Patienten aus der CIS-Kohorte mit mindestens drei EDSS-Assessments und einer Nachbeobachtungsdauer von mindestens vier Jahren. Im Schnitt waren die Betroffenen über knapp sieben Jahre, maximal zwölf Jahre nachuntersucht worden. In dieser Zeit hatten 22% eine PIRA entwickelt. Legten die Forschenden um Coll die Kaplan-Meier-Kurven basierend auf Beobachtung und Berechnung übereinander, stimmten sie in den ersten sechs Jahren praktisch überein – beide ergaben nach vier Jahren für rund 10% und nach sechs Jahren für 20% eine PIRA. Bei längeren Zeiträumen liefen die Kurven auseinander – das Modell war dann pessimistischer als die Realität. Insgesamt ergab sich jedoch über den gesamten Verlauf von bis zu zwölf Jahren eine Genauigkeit von 72%, so Coll. Die Forschenden ordneten in einem weiteren Schritt die Hälfte der Patienten auf Basis der ersten Nachuntersuchung einer Gruppe mit niedrigem Risiko zu, die übrigen einer Gruppe mit hohem Risiko. Von den MS-Kranken mit niedrigem Risiko hatten nach acht Jahren erst rund 10% eine PIRA entwickelt, von denen mit hohem Risiko etwa 35%. Hier zeigte sich in den Verlaufskurven vor allem eine hohe Übereinstimmung für Modell und Beobachtung bei Personen mit hohem, weniger für solche mit niedrigem Risiko. Das Modell hatte dabei 74% der Personen mit PIRA korrekt der Risikogruppe zugeordnet, bei denen mit früher PIRA (in den ersten fünf Jahren) waren es sogar 83%. Coll geht davon aus, dass das Deep-Learning-Modell zusammen mit weiteren Risikofaktoren sein Potenzial noch stärker entfalten kann, etwa wenn das Alter beim ersten Schub hinzukommt und die Medikation berücksichtigt wird. Allerdings ist das Programm erst bei einer relativ kleinen Zahl von MS-Kranken und noch nicht in einer externen Kohorte validiert worden. Insofern sind die Resultate mit Vorsicht zu betrachten.

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