Der Tibialis-anterior-Transfer in Shuttle-Technik mittels Tunnelator ist eine atraumatische Operationstechnik ohne Verletzung des Retinaculum extensorum. Im Vergleich zur aktuellen Literatur ermöglicht die Technik eine vereinfachte postoperative Nachbehandlung mit schmerzadaptierter Vollbelastung für 6 Wochen im Unterschenkelgehgips.
Indikationen
Passive korrigierbare Klumpfußrezidive bei muskulärer Dysbalance (überbalancierter Tonus des M. tibialis anterior).
Kontraindikationen
Strukturell bedingte Bewegungseinschränkungen des Fußes, muskuläre Insuffizienz des M. tibialis anterior, infektiöses oder tumoröses Geschehen im Operationsgebiet.
Operationstechnik
Lösen des M. tibialis anterior an der Basis des Os metatarsale I. Führen der Sehne nach proximal aus dem Retinaculum extensorum, anschließendes Shutteln der Sehne unterhalb des Retinaculum mithilfe des „Tunnelators“ und transossäre Fixierung am Os cuneiforme laterale.
Weiterbehandlung
Schmerzadaptierte Vollbelastung im Unterschenkelgehgips für 6 Wochen postoperativ.
Ergebnisse
Im Zuge einer retrospektiven Studie wurde zwischen 2013 und 2019 das oben genannte operative Verfahren bei 20 Patienten (insgesamt n = 26 Operationen) durchgeführt. Nach einem Follow-up von 12 Monaten zeigte sich in 88,5 % der nachuntersuchten Fälle eine vollständige Korrektur des Klumpfußrezidivs. Es kam zu keinen allgemeinen oder spezifischen Operationskomplikationen.
Hinweise
Herausgeber
T. Mittelmeier, Rostock
Milena M. Ploeger und Matthias D. Wimmer haben zu gleichen Teilen zur vorliegenden Arbeit beigetragen.
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Vorbemerkungen
Die Behandlung des kongenitalen Klumpfußes erfolgt üblicherweise im Säuglingsalter nach der Ponseti-Methode [2]. Das Ziel der Ponseti-Redression ist eine subtalare Derotation durch Abduktion des Vorfußes nach Anhebung des ersten Strahls zur Korrektur des Hohlfußes. Neben der Gipsredression gehört zum Ponseti-Schema als weichteiliger Eingriff die perkutane Achillotenotomie ab einer Vorfußabduktion von 70° zur Korrektur der Spitzfußkomponente [8]. Die Rezidivrate nach Behandlung mit dem Ponseti-Schema wird in der Literatur recht heterogen angegeben und schwankt zwischen 20 und 41 % [1, 6].
Als erstes Anzeichen eines Klumpfußrezidivs zeigen sich in der klinischen Untersuchung häufig die Achillessehnenverkürzung sowie der Rückfußvarus. In der Schwungphase kommt es zu einer vermehrten Supinations- und Adduktionshaltung des Fußes [11]. Unterschieden werden das frühe Rezidiv innerhalb der ersten 2 Lebensjahre, welches in der Regel mit einer erneuten Ponseti-Gipsredression und ggf. erneuter perkutaner Achillotenotomie behandelt werden kann, und das späte Rezidiv ab dem 3. Lebensjahr.
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Zur Behandlung der späten Rezidivkomponente beschrieben erstmalig Garceau und später auch Ponseti als Teil des Ponseti-Behandlungsschemas den Tibialis-anterior-Sehnentransfer (TAST) [4, 13]. Hierbei erfolgt das Lösen der Tibialis-anterior-Sehne im Bereich der Basis des Os metatarsale 1 und wird auf das Os cuneiforme mediale oder laterale transferiert. Alternativ veröffentlichten Hoeffer et al. erstmals 1974 den Teiltransfer der Tibialis-anterior-Sehne bei Kindern mit Zerebralparese [9]. In der Arbeit von Ponseti und Smoley erfolgt die Transposition ohne Lösen der Sehne aus dem Retinaculum extensorum mit 2 Inzisionen im Bereich des Fußrückens [13]. Andere Autoren beschreiben eine dritte Inzision auf Höhe oder proximal des Retinaculum extensorum mit Herauslösen der Sehne aus dem Begleitgewebe und Neupositionierung [11]. Die Fixation erfolgt laut Ponseti in der Regel transossär mit anschließender Ruhigstellung im Unterschenkelgips [13].
Bis dato werden in der Literatur mehrere operative Modifikationen des TAST beschrieben. Unterschiede zeigen sich bezüglich der Neupositionierung der Sehne (Belassen im Retinaculum extensorum vs. Neupositionierung) sowie in der Fixationstechnik der Sehne (Fadenanker [16], Kirschner-Draht-Fixierung [18] oder Interferenzschrauben [17]). Die postoperative Behandlung erfordert eine 6‑wöchige Ruhigstellung im Unterschenkelgips mit Teil- bzw. Entlastung an Unterarmgehstützen [13, 18]. Bis dato zeigt sich keine klare Überlegenheit eines operativen Verfahrens [12]. In der Kadaverstudie von Knutsen et al. führt der totale Sehnentransfer mit 3 Inzisionen zu einer verbesserten Korrektur der Fehlstellung im Vergleich zum partiellen Sehnentransfer und dem totalen Sehnentransfer mit 2 Inzisionen [10].
Die Verfahren, die die Sehne nach proximal aus dem Retinaculum extensorum herauslösen, nutzen zur Neupositionierung eine Kornzange, welche unterhalb des Retinaculums hindurchgeschoben wird [3]. Bei sehr jungen Patienten ist diese Methode oft erschwert aufgrund der anatomischen Enge. Hierdurch kann es zu Verletzungen der umgebenden Strukturen kommen.
In der vorliegenden Publikation beschreiben wir erstmals den TAST mittels Tunnelierer als atraumatische Operationstechnik ohne Verletzung des Retinaculums. Im Vergleich zur aktuellen Literatur favorisieren wir eine vereinfachte postoperative Nachbehandlung mit schmerzadaptierter Vollbelastung für 6 Wochen im Unterschenkelgehgips, die gerade beim jungen Patientenkollektiv zu einer einfacheren Umsetzung und guten Compliance führt [5].
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Operationsprinzip und -ziel
Identifikation der M.-tibialis-anterior-Sehne über einen Schnitt proximal des Retinaculum extensorum im Übergang des mittleren zum distalen Drittel der Tibiavorderkante, anschließend Lösen des Sehnenansatzes möglichst knochennah im Bereich der Basis des Os metatarsale I. Führen der Sehne nach proximal aus dem Retinaculum extensorum, anschließendes Shutteln der Sehne unterhalb des Retinaculum mithilfe des „Tunnelators“ und transossäre Fixierung am Os cuneiforme laterale.
Vorteile
Atraumatisches Vorgehen durch Shutteln der Sehne mittels „Tunnelator“
Keine präformierten Höhlen
Geringeres Risiko der Einblutung z. B. bei Hämophilie
Postoperative schmerzadaptierte Vollbelastung im Gehgips
Verbesserte Dorsalextension bei komplettem Tibialis-anterior-Transfer [10]
Verbesserte Neutralstellung
Keine Fixierung plantar mit möglicher Affektion des N. plantaris
Nachteile
Mögliche Überkorrektur bei Verlagerung des Sehnenansatzes zu weit lateral
Mögliche Unterkorrektur bei Verlagerung des Sehnenansatzes zu weit medial
Indikationen
Passive korrigierbare Klumpfußrezidive bei muskulärer Dysbalance (überbalancierter Tonus des M. tibialis anterior)
Kontraindikationen
Strukturell bedingte Bewegungseinschränkungen des Fußes
Muskuläre Insuffizienz des M. tibialis anterior
Lokale Hautläsionen im Operationsgebiet
Lokale Infektionen im Operationsgebiet
Allgemeine Kontraindikation, wie z. B.: systemische Infektionen, eingeschränkte Narkosefähigkeit
Patientenaufklärung
Allgemeine Operationsrisiken (Infektion, Thrombose, Embolie, Gefäß- oder Nervenschäden, Nachblutung, Wundheilungsstörungen u. a.)
Unzureichende Korrektur mit konsekutiver muskulärer Dysbalance (Überkorrektur/Unterkorrektur)
Ausriss an der Re-Insertionsstelle nach erfolgtem Sehnentransfers
Erneutes Klumpfußrezidiv
Druckulzera/Nervendruckschädigung durch Gips
Nervenschäden mit konsekutiver Dysästhesie, Kraftminderung
Postoperative schmerzadaptierte Vollbelastung im Gehgips für 6 Wochen
Unterschenkelgips für 6 Wochen postoperativ
Stationärer Aufenthalt von ca. 2 Tagen postoperativ
Operationsvorbereitungen
Instrumentarium
„Tunnelator“ (z. B. Peritoneal-Tunnelierer, Fa. Integra®, Saint Priest, Frankreich)
2er-Vicryl zur Armierung der Sehne
Ledige Knochennadel zur ossären Transfixation
Pfriem
Zubehör zur Weißgipsanlage (Gewebeschlauch, Watte, Krepppapier, Weißgipsrollen, handwarmes Wasser)
Bildverstärker mit Dosisreduktionseinstellung (mit Kupferfilter)
Anästhesie und Lagerung
Intubationsnarkose. Hilfreich ist eine Muskelrelaxation
Durchleuchtbarer Operationstisch (z. B. Carbontisch)
Rückenlagerung des Patienten
Bewegliches Abdecken des zu operierenden Beines
Keine Blutsperre, dadurch Vermeidung vielfacher assoziierter Risiken [15].
Erster Schnitt proximal des Retinaculum extensorum, sodass dieses nicht verletzt wird
Atraumatisches Neupositionieren durch Shutteln der Sehne mithilfe des Tunnelators
Kein plantares Fixieren/Ausstechen der Sehnennaht (Vermeidung von Wundheilungsstörungen plantar sowie Vermeidung eines N.-plantaris-lateralis-Entrapments) [14]
Intraoperative Röntgenkontrolle in der Regel nicht notwendig
Nach Hybridisierung des Weißgipses schmerzadaptierte Vollbelastung möglich
Postoperative Behandlung
Intraoperative zirkuläre Unterschenkelgipsanlage mit Weißgips in Neutralstellung
Nach abschließendem Aushärten des Weißgipses Hybridisierung auf Gehgips mit synthetischem Stützverband. Die Autoren hybridisieren den Gips in der Regel am 1. postoperativen Tag
Tragedauer des Gipses 6 Wochen postoperativ
Vollbelastung im Gehgipses
Gipsabnahme ambulant 6 Wochen postoperativ
Sportkarenz für insgesamt 8 Wochen postoperativ, adaptiert an die individuellen Voraussetzungen
Fehler, Gefahren, Komplikationen
Nur partielles Lösen des Sehnenansatzes (Verbleibt der anteriore Anteil auf dem Os metatarsale I, ist das Zurückziehen der Sehne nach proximal nicht möglich)
Zu weit proximales Ablösen des Sehnenansatzes kann dazu führen, dass der armierbare Sehnenanteil zur Refixation zu kurz ist (ein möglichst knochennahes Ablösen ist daher essenziell)
Durchführen des Tunnelators unterhalb des Retinaculums sicherstellen
Keine Manipulation mehr am Fuß nach transossärer Fixierung bis zur Gipsanlage, um ein Ausreißen der Sehne zu vermeiden. Anderes „Stabilitätsempfinden“ der Refixation als beim Erwachsenen Sehnen-Graft berücksichtigen!
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Ergebnisse
Im Zuge einer retrospektiven Studie wurde zwischen 2013 und 2019 das oben genannte operative Verfahren bei 20 Patienten (weiblich n = 7 [35 %], männlich n = 13 [65 %]) durchgeführt. Bei 6 Patienten erfolgte der TAST bilateral, sodass insgesamt n = 26 TAST nachuntersucht wurden. Das Durchschnittsalter zum Operationszeitpunkt lag bei 8 Jahren und 1 Monat (MIN = 3 Jahre, MAX = 38 Jahre). Das Follow-up betrug im Mittel 43,9 Monate (SD ± 24,9 Monate, MIN = 3 Monate, MAX = 78 Monate). Zwei Patienten wurden in das Follow-up nicht eingeschlossen, da nach Gipsabnahme (6 Wochen postoperativ) die weiteren Kontrollen heimatnah erfolgen.
Bei n = 17 Patienten bestand die Indikation im Rezidiv eines idiopathischen Klumpfußes, bei n = 3 Patienten war die ursächliche Erkrankung ein neurogener Klumpfuß.
Als zusätzliche Operationen an Fuß und Sprunggelenk erfolgte bei 90 % der Patienten eine perkutane Achillotenotomie nach Hoke [7]. Weitere zusätzliche Operationen waren das perkutane Plantarfaszienrelease (n = 9 Patienten). Bei 11,5 % der operierten Fälle (n = 3 Füße) zeigte sich ein Rezidiv nach 12 Monaten. Bei 2 der 3 Patienten zeigt sich im Rahmen der Follow-up-Untersuchung nach 12 Monaten eine erneute Achillessehnenverkürzung, welche in 1 Fall erneut operativ behandelt wurde mittels perkutaner Achillotenotomie, im zweiten Fall erfolgte eine intensive physiotherapeutische Behandlung mit Aufdehnen der Achillessehne. Der dritte Patient hatte zudem neben der Achillessehnenverkürzung eine erneute Hohlfußkomponente, beides wurde operativ mit einer perkutanen Achillotenotomie und einem perkutanen Release der Plantarfaszie behandelt.
Bei der beschriebenen Fallserie ist es zu keinen allgemeinen oder neben den beschriebenen Rezidivfällen spezifischen Operationskomplikationen gekommen. Insbesondere die spezifischen technischen Risiken wie Sehnenausriss oder Über‑/Unterkorrektur traten nicht auf.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M.M. Ploeger, M.D. Wimmer, C. Rommelspacher, R. Bornemann und R. Placzek geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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