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Erschienen in: Rechtsmedizin 5/2023

Open Access 20.04.2023 | Leichenschau | Originalien

Die Bedeutung von petechialen Einblutungen im Gesichtsbereich bei der zweiten Leichenschau vor der Feuerbestattung im Einzugsbereich des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald

verfasst von: Dr. med. J. Wudtke, Y. Knoppik, M. Dokter, B. Bockholdt

Erschienen in: Rechtsmedizin | Ausgabe 5/2023

Zusammenfassung

Die zweite Leichenschau vor der Feuerbestattung dient im Wesentlichen der Erkennung von nichtnatürlichen Todesfällen, die im Rahmen der ersten Leichenschau nicht als solche erkannt wurden. Immer wieder fallen dabei punktförmige Einblutungen im Gesichtsbereich, insbesondere in die Lid- und Lidbindehäute auf. Neben krankhaften und lagebedingten Ursachen können diese Einblutungen der einzige äußerlich erkennbare Hinweis auf eine stattgehabte Halskompression sein. Bei Feststellung derartiger Einblutungen im Rahmen der zweiten Leichenschau wird der Sterbefall „angehalten“ und bei der Kriminalpolizei angezeigt. Für einen 12-Jahres-Zeitraum (2010–2021) wurden retrospektiv alle angehaltenen Sterbefälle mit festgestellten Petechien analysiert. In diesem Zeitraum wurden in den Krematorien, für die das Institut für Rechtsmedizin Greifswald verantwortlich ist, insgesamt 2822 Sterbefälle angehalten. In 282 Fällen erfolgte diese Anhaltung aufgrund petechialer Einblutungen im Gesichtsbereich. Durch die zuständige Staatsanwaltschaft wurde in 47 % dieser Fälle eine gerichtliche Obduktion angeordnet. Im Beobachtungszeitraum fanden sich 2 Tötungsdelikte, die erst durch die zweite Leichenschau vor der Feuerbestattung im Krematorium festgestellt wurden. Die Untersuchung zeigt, dass petechiale Einblutungen als Anhaltspunkt für einen nichtnatürlichen Tod nicht ausreichend bei Leichenschauärzten bekannt sind.
Hinweise
Die Ergebnisse dieser Studie wurden bereits im Rahmen der 101. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (31.08.2022–02.09.2022 in Lugano) als Vortrag vorgestellt.
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Einleitung

Der Anteil der Urnenbestattungen verzeichnet in Deutschland einen stetigen Zuwachs. Im Jahr 2012 lag diese Bestattungsart bei 64 %; bis zum Jahr 2021 stieg sie auf 77 % aller Bestattungen [5]. Im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern lag der Anteil der Feuerbestattungen im Jahr 2015 bei 88 % [6]. Die gesetzlichen Vorgaben der Feuerbestattung sind auf Landesebene geregelt. Hintergrund ist, dass im Vergleich zur Erdbestattung, wo bei Auftreten von ungeklärten Todesumständen eine Exhumierung möglich ist, nach einer Kremierung des Leichnams dieser als Spurenträger bzw. Beweismittel unwiderruflich verloren ist.

Gesetzliche Regelung der Feuerbestattung in Mecklenburg-Vorpommern

Das Gesetz über das Leichen‑, Bestattungs- und Friedhofswesen im Land Mecklenburg-Vorpommern (Bestattungsgesetz [BestattG] M-V) legt im § 12 die gültigen Rechtsvorschriften fest [10]. Demnach ist eine Feuerbestattung nur zulässig, wenn eine zweite Leichenschau bestätigt, dass keine Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod bestehen, oder bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen nichtnatürlichen Tod, die Staatsanwaltschaft dennoch einer Feuerbestattung zugestimmt hat. Die zweite Leichenschau ist nicht erforderlich bei vorangegangener Obduktion nach § 87 Abs. 2 StPO oder bei einer Totgeburt mit einem Gewicht unter 1000 g. Sie soll durch einen vom zuständigen Gesundheitsamt hierfür ermächtigten Facharzt für Rechtsmedizin, kann aber auch durch einen Arzt vom Gesundheitsamt durchgeführt werden. Über die Durchführung der zweiten Leichenschau besteht eine Dokumentationspflicht; die Dokumente sind vom Krematorium für 5 Jahre aufzubewahren.

Rechtsmedizinisches Vorgehen bei der Krematoriumsleichenschau

Das Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Greifswald ist seit dem Jahr 2007 für 2 Krematorien im Land zuständig. Bei jedem Sterbefall werden die Angaben in der Todesbescheinigung überprüft und nach einer Untersuchung des Leichnams mit den Befunden am Leichnam abgeglichen. In einzelnen Fällen kommt es zu Auffälligkeiten; der Kremierungsvorgang wird „angehalten“. Die Anhaltequote liegt in den Krematorien des Einzugsbereiches des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald bei ca. 3–5 % pro Jahr. In anderen Untersuchungen wurden ähnliche Werte festgestellt [3, 21]. Ein Grund für das Anhalten eines Kremierungsvorgangs wären beispielsweise Zweifel an der Identität des Leichnams oder auch äußerlich sichtbare Verletzungen, die durch die Angaben in der Todesbescheinigung nicht erklärt sind. In anderen Studien wurden ähnliche Gründe für das Anhalten benannt [1, 9, 18]. In nicht wenigen Fällen finden sich Petechien im Gesichtsbereich, die offenbar in der ersten Leichenschau übersehen, nicht als solche erkannt oder als nicht relevant angesehen wurden. In diesen Fällen wird eine schriftliche Anzeige an den zuständigen Kriminaldauerdienst angefertigt.

Die Pathophysiologie und Bedeutung von Petechien im Gesichtsbereich

Bei Petechien handelt es sich um punktförmige bzw. stecknadelkopfgroße intravitale Blutungen, die sich in den oberen Hautschichten und auch im Bereich der Schleimhäute als Resultat von Wandschädigungen kleinster Kapillaren finden lassen [2, 13]. Unter anderem beschrieb Straßmann 1932 „(…) punktförmige Ecchymosen in der Haut des Gesichtes, den Augenlidern und den Augenbindehäuten (…)“ in einem Buchkapitel „Der Tod durch gewaltsame Erstickung“ [20].
Die Stauungsblutungen werden im Wesentlichen auf einen intravaskulären Druckanstieg (venöse Abflussbehinderung mit venösem Druckanstieg bei erhaltenem arteriellen Zufluss) zurückgeführt, bei deren Bewertung auf die Zahl, Stärke und Lokalisation zu achten ist [16]. Hinsichtlich der Lokalisation spielen laut Geserik et al. [4] die subkonjunktivalen Stauungsblutungen die größte Rolle. Als Ursache von Petechien kommen auch innere Erkrankungen wie Hämophilie, Blut- und Gefäßerkrankungen, Infektionskrankheiten, generalisierte Krampfanfälle, Erbrechen oder Vergiftungen in Betracht [4, 7, 15, 22]. Die Häufigkeit von Petechien der Bindehaut des Auges wird von Prokop et al. [17] im Falle eines plötzlichen Herztodes mit 4,3 % angegeben. Auch eine Graduierung in keine/geringe/mittelgradige/starke Stauungsblutungen wurde in dieser Arbeit vorgenommen. Punktförmige Extravasate im Gesichtsbereich können aber auch postmortal durch die Lage des Leichnams (sog. Vibices) entstehen, diese sind dann von vitalen Stauungsblutungen schwer abzugrenzen und führen nicht selten zu Unsicherheiten in der Beurteilung [15]. Inwieweit Petechien durch Reanimationsmaßnahmen entstehen, wird kontrovers diskutiert. Maxeiner et al. stellten dies zuletzt infrage [14]. Petechien im Gesichtsbereich stellen häufig den einzigen Anhaltspunkt für eine gewaltsame Halskompression dar [7, 8, 15].

Material und Methode

In einer retrospektiven deskriptiven Studie wurden alle durch das Institut für Rechtsmedizin Greifswald wegen Petechien im Gesichtsbereich angehaltenen Sterbefälle systematisch ausgewertet. Der Erhebungszeitraum betrug 12 Jahre (2010–2021). Zur Auswertung stand eine institutsinterne standardisierte Datentabelle aller in diesem Zeitraum vor Kremation angehaltenen Sterbefälle zur Verfügung. Der Auswertung hinzugezogen wurden zusätzlich die Protokolle der nach der Anhaltung durchgeführten Sektionen nach § 87 StPO.
Die Ausprägung der Petechien im Gesichtsbereich wurde im Rahmen dieser Studie graduiert in die Kategorien: keine/einzelne/mittelgradig/massenhaft und nach Regionen (Lider, Bindehaut, Gesichtshaut, Hals, retroaurikulär und Mundschleimhaut) getrennt erfasst. Das Vorliegen einer einzelnen Petechie in den Lid- oder Lidbindehäuten führte nicht zur Anhaltung des Kremierungsvorganges.
Die Daten wurden einer MS Excel (Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA) gestützten statistischen Auswertung unterzogen.

Ergebnisse

Stichprobe

Im Zeitraum von 2010 bis 2021 wurden in beiden Krematorien 2822 Sterbefälle angehalten, 282 Sterbefälle (10 %) davon wegen festgestellter Petechien im Gesichtsbereich (Abb. 1).
Von diesen 282 Sterbefällen wurden 133 (47 %) auf Antrag der Staatsanwaltschaft gerichtlich obduziert, die übrigen 149 Sterbefälle (53 %) wurden ohne Obduktion von der Staatsanwaltschaft zur Bestattung freigegeben.
Die weiteren Auswertungsschritte der vorliegenden Studie beziehen sich auf die 133 gerichtlich obduzierten Sterbefälle, da in diesen Fällen vollumfänglich auswertbare Daten zur Verfügung standen.
Bei den obduzierten Sterbefällen (n = 133) handelte es sich um 52 (39 %) Frauen und 81 (61 %) Männer im mittleren Alter von 73 Jahren. In Abb. 2 wird verdeutlicht, dass bei 6 Sterbefällen bereits durch den Leichenschauarzt eine ungeklärte Todesart deklariert worden war. In 4 dieser 6 ungeklärten Todesfälle lag bereits eine Freigabe der Staatsanwaltschaft vor, obwohl diese keine Kenntnis über das Vorhandensein von Petechien im Gesichtsbereich des Leichnams hatte. In einem Fall wurden Todesursache und Todesart verwechselt und deshalb durch den Leichenschauarzt nicht die Polizei informiert. In einem weiteren Fall war zwar die Kriminalpolizei vor Ort, eine Freigabe lag zum Zeitpunkt der zweiten Leichenschau jedoch nicht vor. Die übrigen 127 Sterbefälle waren durch den Leichenschauarzt als primär natürlicher Tod eingestuft worden.
Nach erfolgter Obduktion (n = 133) konnte festgestellt werden, dass 97 % der Sterbefälle als natürliche Todesart einzustufen waren, in 4 Fällen (3 %) lag eine nichtnatürliche Todesart vor. Bei 2 der 4 nichtnatürlichen Todesfälle wurde als Todesursache eine Alkoholintoxikation festgestellt. Die Petechien waren in dem einen Fall am ehesten auf eine bekannte Gerinnungsstörung, in dem anderen Fall auf die Leichenliegeposition (Lage auf dem Gesicht) zurückzuführen. In 2 weiteren Fällen handelte es sich um Tötungsdelikte als Folge einer Halskompression. Auf die beiden aufgedeckten Tötungsdelikte wird im Rahmen dieses Beitrags noch gesondert eingegangen.
Hinsichtlich der Frage, wer die erste Leichenschau durchgeführt hatte (Abb. 3), konnte festgestellt werden, dass es sich in 74,4 % der Leichenschauärzte um niedergelassene Fachärzte bzw. Ärzte im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst handelte. Ein geringer Anteil (18 %) fiel auf Notärzte im Rettungsdienst sowie auf Klinikärzte (2,3 %).
Die Verstorbenen wurden in 71 % der Fälle in der Häuslichkeit, in 10 % im Altenheim und in 1 % im Freien aufgefunden. In 18 % der Fälle konnte anhand der vorliegenden Daten der Sterbeort nicht sicher zugeordnet werden (Abb. 4).
Anhand der vorliegenden Daten konnte festgestellt werden, dass 51 % der Verstorbenen in Rückenlage aufgefunden wurden, 20 % zeigten partiell umgelagerte Totenflecke. 13 % der Verstorbenen wurden in Bauchlage aufgefunden, weitere 6 % in relativer Kopftieflage (Abb. 5).
Das Säulendiagramm in Abb. 6 zeigt eine summarische Gegenüberstellung der Todesursachen auf dem Totenschein und der festgestellten Todesursachen nach durchgeführter Obduktion.
In beiden Gruppen überwogen kardiale Todesursachen. Einen eher geringen Anteil nahmen Lungenarterienembolien und Durchblutungsstörungen im Gehirn ein. Auch an dieser Stelle ist ersichtlich, dass die 2 Tötungsdelikte durch Halskompression nur im Rahmen der Obduktion festgestellt wurden. Unter der Rubrik Sonstiges wurden beispielsweise die Todesursachen Hirnbasisarterienaneurysma, hypoxischer Hirnschaden, Hirnmassenblutung, Peritonitis und Tumorleiden zusammengefasst.
Petechien waren maßgeblich im Bereich der Augenbindehaut, der Lider und auch der Gesichtshaut zu finden. Auch im Bereich der Mundschleimhaut fanden sich in wenigen Fällen massenhaft Petechien. Die Häufigkeit der Ausbildung von Petechien im Bereich des Halses und der Hinterohrregion war im Vergleich eher gering (Abb. 7).
Hinsichtlich der Ursache der Petechien ließ sich nach der Obduktion der 133 Sterbefälle feststellen, dass Petechien in 69,2 % der untersuchten Sterbefälle aus krankhafter innerer Ursache und in 24,1 % krankhaft, aber auch lagebedingt entstanden waren. In 5,2 % der untersuchten Sterbefälle waren die Petechien isoliert lagebedingt entstanden. In 2 Fällen (1,5 %) waren die Petechien im Gesichtsbereich auf eine gewaltsame Halskompression, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen, zurückzuführen.

Falldarstellungen der rechtskräftig abgeurteilten Tötungsdelikte als Folge einer Halskompression

Fall 1

Der erste Fall eines im Rahmen der Krematoriumsleichenschau angehaltenen Leichnams, der sich im Nachgang als Tötungsdelikt herausstellte, handelt von einer hochbetagten Frau. Bei der zweiten Leichenschau fielen wulstige, flächenhafte Vertrocknungen beider Wangen, mit im Randbereich lokalisierten Petechien auf (Abb. 8).
Punktförmige Einblutungen fanden sich auch in den Augenlidern und in den Augenbindehäuten. Die Obduktion erbrachte u. a. einen umbluteten Bruch des linken Schildknorpeloberhorns, eine Einblutung in das linke Schildknorpelringknorpelgelenk sowie eine Einblutung an der Rückfläche des Zungenbeinkörpers. Der Leichenschauarzt, ein Notarzt, war in diesem Fall fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es sich bei den Hautveränderungen der Wangen um „schwarzen Hautkrebs“ handele. Schlussendlich konnte ermittelt werden, dass der Lebensgefährte der Frau dieser ein Kissen auf das Gesicht und den Hals gepresst und sie somit erstickt hatte.

Fall 2

Das zweite aufgedeckte Tötungsdelikt handelt von einer Rentnerin. Bei der zweiten Leichenschau wurden Petechien im Gesichtsbereich (Abb. 9) sowie Schürfungen und Unterblutungen der Gesichts- und Halshaut festgestellt.
Zusätzlich bestanden Unterblutungen an beiden Unterarmen. Die Obduktion erbrachte Einblutungen der Kopfwendermuskeln und der geraden Halsmuskulatur beidseits, einen umbluteten Bruch der Schildknorpeloberhörner, einen umbluteten Bruch des linken großen Zungenbeinhorns sowie einen Bruch des Ringknorpels. Der Leichenschauarzt war in diesem Fall der Hausarzt; durch ihn wurde auf der Todesbescheinigung ein natürlicher Tod deklariert. Die Todesursache lautete „plötzlicher Herztod“ als Folge einer Lungenarterienembolie. Ermittelt werden konnte, dass die Betroffene im Streit um Geld erwürgt wurde.

Diskussion

Die Krematoriumsleichenschau, die als Indikator für die Qualität der ersten ärztlichen Leichenschau angesehen werden kann, ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Rechtspflege [1, 18]. Anhand der vorliegenden Studienergebnisse ist zunächst festzustellen, dass die Anzahl aller im Studienzeitraum angehaltenen Sterbefälle mit 3–5 % gering ist und sich mit den Anhaltequoten von Brinkmann et al. [3] und Tröger et al. [21] vergleichen lässt. Somit kann gesagt werden, dass die Durchführung der ersten ärztlichen Leichenschau in der überwiegenden Anzahl der untersuchten Fälle hinsichtlich des Erkennens eines nichtnatürlichen Todes oder einer ungeklärten Todesart beanstandungsfrei durchgeführt wurde.
Jedoch konnte in der Studie auch herausgearbeitet werden, dass der Anteil der Anhaltungen wegen Petechien im Gesichtsbereich, gemessen an der Gesamtanzahl aller Anhaltungen im Studienzeitraum, mit 10 % (282 Fälle von 2540 angehaltenen Sterbefällen) relativ hoch ist. Somit scheint das Auftreten ebendieser Befunde eine besondere Herausforderung für den Leichenschauarzt darzustellen, welche gesondert betrachtet und hinterfragt werden muss.
Bei den Leichenschauärzten handelte es sich in der überwiegenden Anzahl (74,4 %) um niedergelassene Fachärzte bzw. Ärzte im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst; im Rettungsdienst tätige Ärzte (Notärzte) waren nur mit 18 % vertreten. Diese Feststellung dürfte am ehesten auf die im Untersuchungszeitraum geltende gesetzliche Regelung (BestattG MV, § 3 Abs. 3) [11] zurückzuführen sein, dass sich Ärzte im Notfall- und Rettungsdienst auf die Todesfeststellung, den Todeszeitpunkt und die äußeren Umstände beschränken können, wenn sie durch die Leichenschau an der Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Rettungsdienst gehindert würden.
Hinsichtlich der Verteilung und Ausprägung der Petechien im Gesichtsbereich konnte in der Studie übereinstimmend zu den Arbeiten von Geserick et al. [4] sowie Prokop et al. [17] festgestellt werden, dass die Petechien am häufigsten in den Bindehäuten zu finden waren. Nach Ansicht der Autoren ist dieses darauf zurückzuführen, dass das notwendige Ektropionieren im Rahmen der ersten ärztlichen Leichenschau in diesen Fällen gar nicht bzw. nicht korrekt erfolgte oder auch Petechien als solche nicht erkannt wurden. Aber auch Petechien der Lider, der Gesichtshaut und der Mundschleimhaut wurden übersehen bzw. in ihrer Bedeutung verkannt.
Die Obduktionsrate der angehaltenen Sterbefälle wegen Petechien im Gesichtsbereich lag in unserer Studie bei 47 % (133 Obduktionen auf 282 Sterbefälle). Andere vergleichbare Untersuchungsergebnisse zu dieser Frage liegen bisher nicht vor. Welche Gründe seitens der Staatsanwaltschaften dazu führten, einen im Rahmen der zweiten Leichenschau angezeigten Sterbefall wegen Petechien im Gesichtsbereich ohne Obduktion freizugeben, sind den Autoren nicht bekannt und wurden in dieser Studie nicht untersucht.
Die überwiegende Anzahl (97 %) der Anhaltungen wegen Petechien erbrachte im Nachgang bei der Obduktion einen Tod aus krankhafter innerer Ursache. Den höchsten Anteil nahmen dabei die kardialen Todesursachen wie beispielsweise verengende Herzkranzschlagadersklerose und Herzmuskelvermehrung ein. In 69 % der Fälle konnten die bei der Krematoriumsleichenschau festgestellten Petechien nach der Obduktion der festgestellten Todesursache zugeordnet werden. In 24 % der obduzierten Sterbefälle spielte jedoch neben der krankhaften inneren Ursache auch die Leichenliegeposition (Bauchlage; relative Kopftieflage) eine Rolle. Bekanntermaßen sind vitale Stauungsblutungen oftmals von postmortal entstandenen Extravasate schwer zu unterscheiden und stellen den Leichenschauarzt vor eine große Herausforderung [19].
Ein wesentliches Ergebnis dieser Studie ist die Feststellung, dass zwei Tötungsdelikte infolge einer Halskompression ohne eine zweite Leichenschau übersehen worden wären. Es waren bei der ersten Leichenschau einerseits Petechien in der Gesichtshaut, andererseits aber auch erhebliche Gesichts- und Halsverletzungen übersehen worden. Hinsichtlich der allgemeinen Aufklärungsrate von Tötungsdelikten im Zusammenhang mit der Krematoriumsleichenschau finden sich in der Literatur einige Fallberichte, in denen jeweils einzelne Tötungsdelikte bei der Untersuchung mehrerer Tausend Verstorbener entdeckt wurden [12]. Übereinstimmend zu einer Arbeit von Zweihoff et al. [23], wo erst im Rahmen der Krematoriumsleichenschau ein offensichtliches Strangulationsgeschehen mit eigentlich unübersehbaren Hinweisen (Strangmarke am Hals, Stauungsblutungen im Gesicht) festgestellt wurde, kann gesagt werden, dass die Qualität der ärztlichen Leichenschau in Einzelfällen verbesserungswürdig ist. Die Kenntnis von relevanten Befunden wie petechialen Einblutungen in die Gesichtshaut, einschließlich Lid- und Lidbindehaut sowie Mundschleimhaut, sowie Halshautverletzungen spielt dabei eine wichtige Rolle.

Fazit für die Praxis

In der Studie konnte festgestellt werden, dass Petechien bei Leichenschauärzten als Anhaltspunkt für einen nichtnatürlichen Tod offensichtlich nicht ausreichend bekannt sind. Um die Qualität der ersten ärztlichen Leichenschau weiterhin zu verbessern, sollten umfangreiche theoriebasierte, aber auch praktisch orientierte Schulungsangebote schon bei Medizinstudenten, aber auch bei approbierten Fachärzten erfolgen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

J. Wudtke, Y. Knoppik, M. Dokter und B. Bockholdt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Diese retrospektive Studie erfolgte im Einklang mit nationalem Recht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Metadaten
Titel
Die Bedeutung von petechialen Einblutungen im Gesichtsbereich bei der zweiten Leichenschau vor der Feuerbestattung im Einzugsbereich des Instituts für Rechtsmedizin Greifswald
verfasst von
Dr. med. J. Wudtke
Y. Knoppik
M. Dokter
B. Bockholdt
Publikationsdatum
20.04.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Rechtsmedizin / Ausgabe 5/2023
Print ISSN: 0937-9819
Elektronische ISSN: 1434-5196
DOI
https://doi.org/10.1007/s00194-023-00623-2

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Die vergleichende experimentelle Pathologie („comparative experimental pathology“) ist ein Fachbereich an der Schnittstelle von Human- und Veterinärmedizin. Sie widmet sich der vergleichenden Erforschung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von …

Gastrointestinale Stromatumoren

Open Access GIST CME-Artikel

Gastrointestinale Stromatumoren (GIST) stellen seit über 20 Jahren ein Paradigma für die zielgerichtete Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren dar. Eine elementare Voraussetzung für eine mögliche neoadjuvante oder adjuvante Behandlung bei …

Personalisierte Medizin in der Onkologie

Aufgrund des erheblichen technologischen Fortschritts in der molekularen und genetischen Diagnostik sowie zunehmender Erkenntnisse über die molekulare Pathogenese von Krankheiten hat in den letzten zwei Jahrzehnten ein grundlegender …