In den letzten Jahren ist die Bedeutung der kutanen Mikrobiota (Gesamtheit aller auf der Haut lebenden Mikroorganismen) für die Homöostase des Hautorgans immer deutlicher geworden [
1,
2]. Sie wird heute als ein diverses Ökosystem verstanden, welches hauptsächlich aus grampositiven Bakterien besteht und die menschliche Haut je nach Region und Individuum in unterschiedlicher Dichte und Zusammensetzung besiedelt [
1,
3]. So wird die kutane Mikrobiota als funktionaler und aktiver Teil der epidermalen Barriere aufgefasst, da sie sowohl dem Wachstum potenziell pathogener Bakterien entgegenwirkt als auch mit fremden Mikroorganismen kommuniziert und darüber hinaus mit dem Immunsystem des Wirts interagiert [
4,
5]. Dieses Ökosystem wird von genetischen Komponenten geprägt, maternal erworben und im Laufe des Lebens adaptiert [
6,
7]. Die funktionelle Verzahnung dieser Symbiose wird besonders dann deutlich, wenn es durch pathogenetische Veränderungen zu einer relevanten Dysbiose und daraus folgend zu einer phänotypischen Erkrankung kommt.
Das Bewusstsein für diese Zusammenhänge ist sowohl auf die Fortschritte in der molekularen Analytik zur Identifizierung des kutanen Mikrobioms als auch auf ein erweitertes immunologisches Verständnis zur funktionellen Bedeutung der Interaktionsmuster von Mikrobiota und Wirt zurückzuführen [
8,
9]. Insbesondere durch spezielle molekularbiologische Technologien wie die Metagenomsequenzierung oder das Next Generation Sequencing (NGS) werden eine genaue taxonomische Zuordnung identifizierter Arten sowie eine Charakterisierung der Diversität des Mikrobioms ermöglicht [
10]. Im Rahmen der NGS wird eine Analyse der bakteriellen DNA durchgeführt, die Bezug auf hochkonservierte und hochvariable Regionen des
16S-rRNA-Gens als Teil des bakteriellen Ribosoms nimmt [
11]. Das zur Sequenzierung verwendete PCR-Produkt wird durch spezifische Primer erzeugt, die an die hochkonservierten Regionen in unmittelbarer Nachbarschaft der variablen Regionen des
16S-rRNA-Gens der Bakterien binden. Anschließend wird das generierte Amplifikat sequenziert, und die dabei ermittelten Sequenzvarianten werden durch bioinformatische Analysen mit
16S-rRNA-Gen-Sequenzen bekannter Bakterien aus Datenbanken verglichen und taxonomisch klassifiziert [
12]. Probleme dieser Analysen liegen in der Auswahl der variablen Regionen sowie im Umstand, dass die Methodik und das Material der Probennahme sehr fehleranfällig sind, begründet [
13,
14]. Deshalb wird der parallele Einsatz eines zweiten Nachweisverfahrens, wie z. B. der Matrix-Assisted Laser Ionization Time-of-Flight Mass Spectroscopy (MALDI-TOF MS), propagiert [
15‐
17]. Diese Herangehensweise steigert allerdings den zeitlichen und finanziellen Aufwand von Studien erheblich, ist aber dem parallelen Einsatz konventioneller mikrobiologischer Kulturtechniken sehr wahrscheinlich überlegen [
18]. Das Mikrobiom ist ein extrem komplexes und intra- sowie interindividuell variables System, welches zudem von vielen intrinsischen und extrinsischen Faktoren beeinflusst werden kann [
19,
20]. Mittels
16S rRNA-Sequenzierung lässt sich das genetische Material der Bakterien analysieren, jedoch können mit dieser Methode keine Aussagen über den Vitalitätszustand der Mikroben getroffen werden, was Untersuchungen zu antiseptischen Effekten von Konservierungsmitteln methodisch schwierig macht [
21,
22].
Es ist zudem unklar, wie lange nach einer Anwendung mikrobizider Präparate auf der Hautoberfläche genetisches Material der avitalen Mikroben persistiert und damit molekularbiologisch erfasst werden kann [
23,
24]. Folglich ist die Analyse von antiseptischen Effekten nach Interventionen mittels
16S-rRNA-Sequenzierung nur eingeschränkt möglich. Im Gegensatz dazu bieten klassische Kulturverfahren zwar die Möglichkeit, einzelne Bakterienarten zu analysieren, lassen aber keine Aussagen zur Diversität der Mikrobiota zu und sind von verwendeten Kulturmedien, Kulturbedingungen und der Wachstumsdynamik der jeweiligen Art (Zeit-Überleben-Kurve) abhängig. Das Wachstumsverhalten von Bakterien wird nach dem Beimpfen der Kulturplatten durch die Adaptation an die Umgebungsbedingungen durch eine Latenzphase („lag phase“) geprägt [
25]. Anschließend erfolgt ein exponentielles Wachstum („log phase“), welches nach Übergang in eine stationäre Phase schließlich in eine regressive Phase übergeht. Die genaue Dauer der einzelnen Phasen ist v. a. von der Ausgangskeimzahl und den Wachstumseigenschaften der Bakterienart, aber auch von den Umgebungsbedingungen abhängig. Bei der Planung von Kulturversuchen mit Referenzbakterien müssen diese Faktoren Berücksichtigung finden, um relevante Ergebnisse ableiten zu können. Der Einsatz von Konservierungsmitteln ist in der Lag phase besonders relevant, da die Log phase verhindert und ein Übergang in die stationäre (mikrobistatisch) bzw. regressive (mikrobizid) Phase induziert wird [
26]. Daraus lässt sich die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von Konservierungsmitteln in Topika ableiten.
Konservierung von Topika
Konservierungsmittel werden als Hilfsstoffe in Topika eingesetzt, um die jeweilige Präparation mikrobiologisch haltbar zu machen und damit zu einer möglichst langen Lager- und „In-use“-Stabilität beizutragen, darüber hinaus aber auch, um den Anwender des Topikums vor unerwünschten Einflüssen pathogener und apathogener Mikroorganismen zu schützen [
27,
28]. Der Einsatz von Konservierungsmitteln wird bezüglich der Auswahl geeigneter chemischer Stoffe oder Stoffgemische mit mikrobistatischer oder mikrobizider Aktivität sowie deren Anwendungskonzentration regulatorisch definiert [
29]. Sie besitzen vordergründig eine mikrobistatische Wirkung, die abhängig von der Konzentration und der spezifischen Reaktionsweise der zugehörigen Substanzgruppe ist [
30]. Physikochemisch besitzen Konservierungsmittel typischerweise einen amphiphilen Charakter, sind gut wasserlöslich und können über den lipophilen Anteil an Membranen anhaften sowie diese passiv durchdringen. An der Zellmembran von Mikroorganismen kommt es zur konzentrationsabhängigen Permeationsstörung und im Falle einer mikrobiziden Konzentration zum Zelltod bzw. sogar zur Auflösung der kolloidphysikalischen Ordnung der Zelle und damit zu deren Autolyse. Die als Konservierungsmittel zugelassenen Substanzen unterliegen einem definierten Konzentrationsbereich und stammen aus den Substanzklassen der quartären Stickstoffverbindungen, Carbonsäuren, Alkohole, Phenole, Organoquecksilberverbindungen sowie sonstiger Stoffe [
26,
31]. Konservierungsmittel wirken meistens im undissoziierten Zustand, sodass der pH-Wert der hydrophilen Phase, in Abhängigkeit von der pH-Toleranz relevanter Bakterienarten, direkten Einfluss auf die Wirkeffizienz nimmt. Die individuelle minimale Hemmkonzentration (MHK) entspricht weitestgehend der mikrobistatischen Konzentration [
32]. Konservierungsmittel werden durch Kontamination verbraucht, sodass die MHK bei entsprechend hoher mikrobieller Last unterschritten werden kann und die mikrobistatische Wirkung ausbleibt. Die Abtötungsgeschwindigkeitskonstante bei mikrobizider Wirkung eines Konservierungsmittels ist stark von der Zahl und der Art der lebensfähigen Mikroorganismen und der Einwirkzeit des Konservierungsmittels abhängig. Aus regulatorischer Sicht wird die Einsatzkonzentration eines Konservierungsmittels nicht nur aus mikrobiologischer Perspektive bewertet [
31]. So werden ebenso die toxikologische und allergologische Unbedenklichkeit und die chemische Inaktivität der zulässigen Substanzen innerhalb topischer Matrices beurteilt [
33]. Der zugelassene Konzentrationsbereich wird dabei v. a. an der MHK innerhalb der Formulierungen im Primärpackmittel ausgerichtet (mikrobiologische Stabilität; [
26,
29]). Da Bakterien Wasser zum Wachstum benötigen, ist bei keimarm hergestellten galenischen Systemen v. a. dann eine Konservierung erforderlich, wenn sie eine äußere kontinuierliche hydrophile Phase aufweisen.
Von der Konservierung zur Antiseptik
Bisher wenig untersucht sind die antiseptischen Effekte von Konservierungsmitteln nach epikutaner Applikation auf die kutane Mikrobiota. Aus pharmakokinetischer Sicht ergeben sich aus den Kenntnissen der Konversion der Applikationsmatrix in die Segregationsmatrix des Vehikelsystems wesentliche Anhaltspunkte dafür, dass sich das Konzentrationsniveau der Konservierungsmittel auf der Haut nach der Applikation erheblich erhöhen kann. Während der strukturellen Umwandlung der Applikationsmatrix (Metamorphose) und der sich dabei vollziehenden Verdunstung volatiler Bestandteile der Formulierungsmatrix, zu denen auch Wasser gerechnet werden muss, kommt es zum Entzug des Lösungsmittels der Konservierungsmittel und damit zu deren Konzentrierung auf der Hautoberfläche [
34]. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Konservierungsmittel auch Einfluss auf die kutane Mikrobiota nehmen. Zudem sind bei der überwiegenden Zahl der Topika, insbesondere bei Arzneimitteln, weder der pH-Wert der Wasserphase noch die Pufferkapazität an den pH-Gradienten des Stratum corneum und damit an das physiologische Milieu der kutanen Mikrobiota angepasst [
35]. Während der Einfluss des pH-Wertes und der Pufferkapazität in der Literatur durchaus als relevant für die Mikrobiota diskutiert wird, werden die Konzentrierung der Konservierungsmittel im Zuge der Matrixkonversion und deren Folgen für die Mikrobiota bisher selten adressiert [
36]. Es finden sich lediglich Daten zu einzelnen kosmetischen Produkten (überwiegend „Wash-off“-Präparaten), die im Studiensetting die Remanenzeigenschaften der eingesetzten Konservierungsmittel vernachlässigen und ausschließlich
16S-rRNA-Analysen betrachten [
36]. Die bisher vorliegenden Daten lassen deshalb keine objektive Bewertung über die Einflussnahme von Konservierungsmitteln auf die kutane Mikrobiota zu, besonderes bei „Leave-on“-Präparationen. Dies liegt auch an den sehr komplexen Zusammenhängen und Einflussfaktoren, die sich auf mikrobiologischer, pharmakokinetischer, pharmakodynamischer und galenischer Ebene darstellen. Deshalb bedarf es mehrerer methodischer Ansätze, die die verschiedenen Konservierungsstrategien untersuchen, um insbesondere die praktische Relevanz antiseptischer Effekte von Konservierungsmitteln besser bewerten zu können. Die vorliegenden Untersuchungen sollen deshalb anhand von Kulturversuchen an Referenzbakterien mit dermatologischer Relevanz zeigen, dass für Topika gängige Konservierungsmittel in ansonsten mikrobiologisch inerten Matrizes grundsätzlich einen direkten Einfluss auf die Mikrobiota in Form antiseptischer Effekte ausüben können. Die daraus resultierenden Erkenntnisse sollen darüber hinaus der Erarbeitung klinischer Studiendesigns dienen, um eine weiterführende Untersuchung des Einflusses von Konservierungsmitteln auf die kutane Mikrobiota zu ermöglichen.