Einleitung
Motorisches Lernen ist eines der zentralen Ziele im Sportunterricht (Wagner,
2016). Die Bedeutung von Feedback für motorisches Lernen wurde außerhalb des schulischen Kontexts in mehreren Studien evident (Rhoads, Da Matta, Larson, & Pulos,
2014; Sigrist, Rauter, Riener, & Wolf,
2013), es konstituiert neben Beobachtungsübungen, eigenständigem Üben und der bewussten Steuerung der Aufmerksamkeit einen der entscheidenden Einflussfaktoren motorischen Lernens (Wulf, Shea, & Lewthwaite,
2010).
Ein erhöhter Zeitbedarf, extensive Vorbereitung und kostenintensive Ausstattung machen visuelle Feedbackmethoden für den alltäglichen Gebrauch im Sportunterricht jedoch anspruchsvoll, weshalb diese bisher vor allem im professionellen oder semiprofessionellen Sport (Ste-Marie, Rymal, Vertes, & Martini,
2011), kaum aber in schulischem Kontext (Autoren,
2022) Anwendung finden.
Seit einiger Zeit eröffnen jedoch mobile Endgeräte, die zunehmend auch Lehrkräften zu Verfügung stehen (Eickelmann et al.,
2019), weiteren Zielgruppen den Zugang. Dabei ermöglichen digitale Anwendungen wie Coach’s Eye (Kok, Komen, van Capelleveen, & van der Kamp,
2020), Dartfish (Walker, Mattson, & Sellers,
2020) oder zeitversetzte Live-Videos (Madou & Cottyn,
2015) einen weniger zeitaufwändigen Analyse- und Feedbackprozess und besitzen das Potenzial, Zeit in Vor‑, Auf- und Nachbereitung zu reduzieren. Vor dem Hintergrund angepasster Bildungscurricula (z. B. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport,
2016) und fehlender Adaptionsfähigkeit methodischer Konzepte aus dem außerschulischen Bereich, denen im Hinblick auf Heterogenität, Motivation, Gruppengröße und Zeitangebot andere Rahmenbedingungen zugrunde liegen (Autoren,
2022), bedarf es jedoch spezifischer Konzepte (Daugs, Blischke, Marschall, & Müller,
1991), um in einem „real world environment“ bestehen zu können (Barzouka, Sotiropoulos, & Kioumourtzoglou,
2015, S. 412).
Die vorliegende Studie zielt daher darauf ab, dem Mangel an Konzepten zur Integration visuellen Feedbacks in den Sportunterricht entgegenzuwirken. Im Zentrum stehen daher die Fragen, inwiefern ein neu entwickeltes Unterrichtskonzept unter Verwendung einer Videoanalyse motorisches Lernen im Rahmen des Unterrichts zu verbessern vermag [a], wie nachhaltig mögliche Effekte sind [b] und welche Implikationen diese Ergebnisse für die künftige Gestaltung von Sportunterricht haben [c].
Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand
Einige Untersuchungen beschäftigten sich bereits mit der Eignung visueller Feedbackmethoden für das Erlernen motorischer Fertigkeiten (Rhoads et al.,
2014), gleichwohl ist die Datenlage in schulischen Settings begrenzt (Autoren,
2022). Während taktiles Feedback im Hinblick auf Bewegungslernen wenig Potenzial zu haben scheint (van Breda et al.,
2017), spielen verbales (Sigrist et al.,
2013) sowie visuelles Feedback (Rhoads et al.,
2014) als Varianten eines
augmented feedback (Swinnen,
1996), die eigene Wahrnehmung (intrinsisches Feedback) erweiternd und lediglich von außen wahrnehmbar (extrinsisches Feedback), eine wichtige Rolle. Diskutiert werden darüber hinaus visuelle Feedbackvarianten, die auf Selbstorganisation beruhen (Ste-Marie et al.,
2011).
Häufig wird verbales und visuelles Feedback jedoch zu einem
multimodalen Feedback kombiniert (Zetou, Kourtesis, Getsiou, Michalapoulou, & Kioumourtzoglou,
2009), nicht zuletzt, weil Hinweise existieren, denen zufolge ein additives visuelles Feedback motorisches Lernen noch steigern könnte. So konnten Rhoads et al. (
2014) in einer Metaanalyse kleine Effekte dafür finden, dass eine Kombination aus visuellem und verbalem Feedback einer ausschließlich verbalen Rückmeldung überlegen sein könnte, es bedarf dazu jedoch eines geplanten und zielgerichteten Einsatzes (Weir & Connor,
2009).
Hinsichtlich der Wirkungsweise wird mehrheitlich auf die soziale Lerntheorie von Bandura und Walters (
1977) Bezug genommen, wonach der Modellierungsprozess im Kontext visuellen Feedbacks von grundlegender Bedeutung für das Bewegungslernen und den Korrekturprozess ist. Lernen ist dabei ein aktiver aus Aneignung sowie Ausführung bestehender kognitiver Prozess. In enger Dependenz von Aufmerksamkeit und Motivation wird Verhalten beobachtet, daraus resultierende Informationen kodiert und als Schemata gespeichert, um diese später abzurufen und mittels Übung und Korrektur zu verbessern. In der Orientierung an einer idealen Bewegung und dem Ziel der Fehlerminimierung durch organisiertes Üben werden Überschneidungen mit motorischen Ansätzen (Birklbauer,
2006), die wie die Theorie der generalisierten Programme von Schmidt (
1975) meist informationstheoretischen Ursprungs sind, deutlich. Letztere geht davon aus, dass für einzelne Bewegungsklassen übergeordnete motorische Programme existieren, die in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen hinsichtlich zugrunde liegender Parameter lediglich angepasst und unter anderem durch Automatisierung der Bewegung und Feedback verbessert werden.
Gründe für einen Mehrwert verbal unterstützten visuellen Feedbacks könnten in einer verbesserten Visualisierung (Kretschmann,
2017) durch zusätzliche Informationen (Magill & Schoenfelder-Zohdi,
1996) beispielsweise hinsichtlich positions- oder lagebezogener Komponenten (Potdevin et al.,
2018) oder die Fokussierung auf bestimmte Bewegungssegmente auf Basis einer Zeitlupe liegen (Hamlin,
2005). Auch die Identifikation von Koordinationsmustern (Magill & Schoenfelder-Zohdi,
1996), Vorteile bezüglich der Fehlererkennung sowie eine bewusste Steuerung der Aufmerksamkeit (Barzouka et al.,
2015) kommen als Ursache in Betracht.
Innerhalb visueller Feedbackverfahren wurde herausgearbeitet, dass eine
Expertenmodellierung, der eine ideale Ausführung zugrunde liegt, einer
Selbstmodellierung, bei der die eigene Bewegungsausführung die Grundlage eines Feedbacks bildet, vorzuziehen ist (Autoren,
2022).
Neben der Identifikation von Koordinationsmustern (Magill & Schoenfelder-Zohdi,
1996) scheint hier auch das Bedürfnis nach Nachahmung (Zetou, Tzetzis, Vernadakis, & Kioumourtzoglou,
2002) eine Rolle zu spielen. Ein weiterer Grund könnte in der grundsätzlichen Ausrichtung der beiden Feedbackvarianten liegen. Denn während eine Selbstmodellierung die Identifikation von Fehlern fokussiert (Zetou et al.,
2002) und im Zuge einer schlechten Ausführung die Motivation negativ beeinflussen kann (Ruzicka & Milova,
2019), legt die Expertenmodellierung das Augenmerk auf die Ausführung (Zetou et al.,
2002).
Eine vielversprechende Möglichkeit, Aspekte beider Feedbackmethoden zu vereinen, bietet der direkte Vergleich von Selbst- und Expertenmodellierung, der durch die unmittelbare Gegenüberstellung von aktueller und intendierter Ausführung ebenfalls zu einer verbesserten Visualisierung beiträgt (z. B. Barzouka et al.,
2015).
Diese Befunde ergänzend, liegen auf der Ebene der pädagogisch-psychologischen Forschung Erkenntnisse vor, wonach Videofeedback die Lernmotivation positiv beeinflusst (O’Loughlin, Chróinín, & O’Grady,
2013), das Engagement fördert (Casey & Jones,
2011), der Blick auf die eigene Bewegung aber auch positiv auf Selbstwirksamkeit (Zetou et al.,
2009), die Selbsteinschätzung (Downs, Miltenberger, Biedronski, & Witherspoon,
2015) sowie die Selbstzufriedenheit (Clark & Ste-Marie,
2007) wirken kann.
Während diesen Erkenntnissen jedoch nur in Teilen ein Schulbezug zugrunde liegt, geben jüngere Forschungsergebnisse eines systematischen Reviews (Autoren,
2022) konzeptionelle Anhaltspunkte, wie visuelles Feedback im Kontext motorischen Lernens in den Sportunterricht implementiert werden könnte.
Im Hinblick auf eine Adaption bereits bestehender methodischer Umsetzungen in schulischem Kontext war unter der Prämisse einer niederschwelligen wie alltagsnahen Implementierung die Aufbereitung des Videomaterials im Vergleich allerdings mit hohem Zeitaufwand verbunden (Barzouka et al.,
2015), auf eine deutlich höhere Stundenzahl ausgelegt (Zetou et al.,
2002) oder aufgrund fehlender Retentionstests (Palao, Hastie, Cruz, & Ortega,
2015; Potdevin et al.,
2018) bezüglich der Nachhaltigkeit des Lernfortschritts schwer einzuschätzen. Teilweise verfolgten Untersuchungen auch qualitative Ansätze (O’Loughlin et al.,
2013) oder waren in ihrer Ausrichtung auf eine andere Zielgruppe ausgelegt (Boyce, Markos, Jenkins, & Loftus,
1996), was im Hinblick auf die Komplexität der zu erlernenden Fertigkeit (Sigrist et al.,
2013) sowie das Fertigkeitsniveau (Rothstein & Arnold,
1976) mit Auswirkungen auf die konzeptionelle Gestaltung einhergeht. Generell eignen sich jedoch sowohl geschlossene als auch offene Fertigkeiten (Rhoads et al.,
2014). Bezüglich des Alters finden sich für den Primarbereich (Erbaugh,
1985) wie auch die Sekundarstufe I (Palao et al.,
2015; Potdevin et al.,
2018) Hinweise auf Eignung, wenngleich Ergebnisse existieren, wonach Jüngere von verbalem Feedback stärker profitierten (Boyce et al.,
1996). Insgesamt scheinen Faktoren das Alter, das Geschlecht oder die zu erlernende Fertigkeit betreffend, jedoch nicht die zentralen Einflussfaktoren zu sein, wenn es um visuelles Feedback geht (Rothstein & Arnold,
1976).
Die bestehenden Erkenntnisse zum Ausgang nehmend, entstand unter Berücksichtigung weiterer übergreifender wie spezifischer Forschungsliteratur das nachstehende digitalbasierte methodische Konzept.
Ergebnisse
Die Ergebnisse lassen im zeitlichen Verlauf für alle Varianten des auf einer Videoanalyse fußenden Untersuchungsdesigns eine signifikante Verbesserung von Stoßweite (Abschnitt: Quantitative Entwicklung der Bewegungsausführung (Weite)) und -technik (Abschnitt: Qualitative Entwicklung der Bewegungsausführung (Technik)) erkennen. Tab.
1 illustriert für die Weite und die Technik zentrale Werte.
Tab. 1
Mittelwerte, Standardabweichungen und Effektgrößen über den Interventionsverlauf
Gruppe | IG 1 | IG 2 | IG 3 | IG 1 | IG 2 | IG 3 |
Gruppengröße n | 32 | 31 | 32 | 32 | 31 | 32 |
Pretest | 5,75 ± 1,57 | 5,79 ± 1,37 | 5,48 ± 1,42 | 13,37 ± 3,23 | 12,94 ± 2,11 | 12,75 ± 3,01 |
Posttest | 6,32 ± 1,42 | 6,30 ± 1,21 | 6,25 ± 1,52 | 20,00 ± 3,66 | 19,87 ± 2,01 | 18,00 ± 2,50 |
Retentionstest | 6,54 ± 1,56 | 6,52 ± 1,33 | 6,35 ± 1,53 | 19,94 ± 3,16 | 19,06 ± 2,29 | 18,25 ± 2,13 |
Effektgröße der verschiedenen Varianten | η2 = 0,45 | η2 = 0,36 | η2 = 0,52 | η2 = 0,78 | η2 = 0,80 | η2 = 0,68 |
Quantitative Entwicklung der Bewegungsausführung (Weite)
Die mixed ANOVA mit einer Huynh-Feld-Korrektur (ε = 0,919) nach Girden (
1992) zeigte bei homogenen Fehlervarianzen (Levene-Test:
p > 0,05) und Gleichheit der Kovarianzmatrizen (Box-Test:
p > 0,676) für die Weite einen statistisch höchst signifikanten Haupteffekt im Hinblick auf die Trainingswochen, Huynh-Feld F
(1.838, 169.110) = 73,132;
p < 0,001; partielles η
2 = 0,44; nicht jedoch für die Untersuchungsgruppen F
(2, 92) = 0,161;
p = 0,847. Auch gab es keine statistisch signifikanten Interaktionseffekte zwischen der Trainingswoche und den Untersuchungsgruppen, Huynh-Feld F
(3.676, 169.110) = 0,670;
p = 0,601.
Für die Wirksamkeit der verschiedenen Feedbackvarianten lieferte eine einfaktorielle ANOVA mit Messwiederholung signifikante Effekte für die visuelle Feedbackgruppe (F (2, 62) = 25,763; p < 0,001; partielles η2 = 0,45), die verbale Feedbackgruppe (Huynh-Feldt F (1.612, 48.364) = 19,963; p < 0,001; partielles η2 = 0,36) sowie für die selbstorganisiert lernende Gruppe 3 (F (2, 62) = 33,166; p < 0,001; partielles η2 = 0,52). Die paarweisen Vergleiche zeigten vom Pretest zum Posttest signifikante Verbesserungen für alle Feedbackvarianten (visuell: p = < 0,001; verbal: p = 0,005; selbstorganisiert: p = < 0,001), die bis zum Retentionstest beibehalten werden konnten (visuell: p = 0,120; verbal: p = 0,059; selbstorganisiert: p = 0,890).
Qualitative Entwicklung der Bewegungsausführung (Technik)
Die mixed ANOVA zeigte eine Verletzung der Voraussetzung der Fehlervarianzen für den Posttest (p = 0,008) sowie der Homogenität der Kovarianzmatrizen (p = 0,007), sodass die mixed ANOVA nicht interpretiert werden durfte. Für Pretest und Retentionstest wurde daher jeweils eine einfaktorielle ANOVA, für den Posttest eine Welch-ANOVA berechnet. Während sich die Untersuchungsgruppen im Pretest nicht unterschieden (F (2, 92) = 0,41; p = 0,664), konnten für den Posttest signifikante Unterschiede identifiziert werden (F (2, 58.96) = 6,07; p = 0,004). Post-hoc-Tests nach Games-Howell ergaben, dass IG1 (p = 0,036) und IG2 (p = 0,005) besser abschnitten als die IG3. Auch der Retentionstest wies auf signifikante Unterschiede hin (F (2, 92) = 3,45; p = 0,036). In Post-hoc-Tests nach Tukey schnitt dann jedoch nur noch IG1 (p = 0,027) signifikant besser als die IG3 ab.
Für die Wirksamkeit der verschiedenen Feedbackvarianten lieferte eine einfaktorielle ANOVA mit Messwiederholung signifikante Effekte für die visuelle Feedbackgruppe (F (2, 62) = 109,857; p < 0,001; partielles η2 = 0,78), die verbale Feedbackgruppe (Greenhouse-Geisser F (1.425, 42.762) = 121,961; p < 0,001; partielles η2 = 0,80) sowie die selbstorganisiert lernende Gruppe (Huynh-Feldt F (1.716, 53.193) = 65,241; p < 0,001; partielles η2 = 0,68). Die paarweisen Vergleiche zeigten vom Pretest zum Posttest signifikante Verbesserungen für alle Feedbackvarianten (visuell: p = < 0,001; visuell: p = < 0,001; selbstorganisiert: p = < 0,001), die für die visuelle sowie die selbstorganisiert lernende Gruppe bis zum Retentionstest beibehalten werden konnten (visuell: p = 1,000; selbstorganisiert: p = 1,000), nicht jedoch für die verbale Feedbackgruppe (verbal: p = 0,034).
Limitationen
Das entwickelte und auf Eignung untersuchte digitalbasierte Unterrichtskonzept verfolgt das Ziel, Unterricht auf konzeptioneller Ebene weiterzuentwickeln, zugleich jedoch auch wissenschaftliche Erkenntnisse für die unterrichtliche Praxis greifbar zu machen.
Aus konzeptioneller Sicht stellt eine nach Maher et al. (
2003) anzustrebende und aufgrund des Studiendesigns sowie des schulischen Settings fehlende Verblindung von Lehrkraft und Prüfenden einen limitierenden Faktor dar. Auch könnten größere Stichproben in Verbindung mit anderen zu erlernenden Fertigkeiten und weiteren Altersklassen (5.–8. Klasse; 11.–12. Klasse) die konzeptionelle Aussagekraft noch erhöhen.
Aus unterrichtspraktischer Sicht sind es hingegen gewisse Rahmenbedingungen, deren potenzielles Fehlen für die Wirksamkeit einschränkenden Charakter haben. So impliziert das methodische Konzept eine hohe Eigenverantwortlichkeit einer Lerngruppe für den Lernprozess (Station 2 & 3), vor dessen Hintergrund ein Einsatz für untere Klassenstufen diffiziler erscheint. Neben der technischen Ausstattung sowie datenschutzrechtlichen Aspekten ist es speziell die Lehrkraft (Roure et al.,
2019), deren Kenntnisse im Umgang mit digitalen Medien (Kretschmann,
2015) ebenso wie der ihr zugeschriebenen Kompetenz (Nelson et al.,
2014), der tragende Bedeutung zukommt. Eine zielorientierte Entwicklung digitaler Kompetenzen ist vor dem Hintergrund nationaler Untersuchungen (Autoren,
2023) und internationaler Vergleichsstudien (Eickelmann et al.,
2019) daher zukünftig weiter zu stärken.
Hinweis des Verlags
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