Welche Begleitsymptome bei Multipler Sklerose wie häufig vorkommen

Jede zweite Person mit Multipler Sklerose hat eine Begleiterkrankung, jede dritte sogar mehr als zwei Komorbiditäten, offenbart eine Analyse von deutschen Registerdaten. Ein Überblick, wie häufig Begleitsymptome vorkommen – und was dagegen hilft. Lähmungen, Parästhesien, Visusstörungen – solche Symptome sind recht typisch bei Multipler Sklerose (MS). Hinzu kommen oft MS-Beschwerden wie Spastik, Fatigue oder kognitive Probleme sowie eine Reihe weiterer Begleiterkrankungen. Nach einer Analyse des Deutschen MS-Registers mit über 3500 Patienten gelangen Forscher um den Pharmazeuten Dr. Niklas Frahm von der Uni Rostock zu dem Schluss, dass mehr als die Hälfte der MS-Kranken mindestens eine Komorbidität aufweist, zwei oder mehr Begleiterkrankungen haben immerhin 38 Prozent (NeuroTransmitter 2022; 33:40–44). Begleiterkrankungen vermehrt bei Älteren Am häufigsten sind dies neuropsychiatrische Erkrankungen (bei 21 Prozent) – sie dürften zu einem großen Teil durch die MS bedingt sein. Rund 17 Prozent der Registerpatienten haben aber auch kardiovaskuläre und 14 Prozent metabolische Erkrankungen. Die Begleiterkrankungen treten vermehrt bei Älteren (über 50 Jahre) sowie Frauen und Patienten mit progredienter MS auf. Aber auch Alleinstehende und MS-Kranke mit geringer Bildung sind gehäuft betroffen. Eine genaue Erhebung der Begleiterkrankungen ist relevant für die MS-Therapie: Manche Medikamente sind bei Patienten mit Leber- und Nierenfunktionsstörungen weniger geeignet, andere erhöhen das Risiko für Infekte, Krebs oder Immunkomplikationen. Gesunder Lebensstil von Vorteil Die Forscher um Frahm halten daher eine gute Abstimmung zwischen den behandelnden Ärzten für wichtig, ebenso die Prävention: Ein Lebensstil mit viel Bewegung, gesunder Ernährung und Tabakverzicht kann nicht nur Begleiterkrankungen vermeiden, er wirkt sich auch günstig auf den MS-Verlauf aus. Einen Überblick zur symptomatischen MS-Therapie bietet die aktualisierte S2k-Leitlinie „Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen“. Die unten aufgeführten Therapietipps basieren auf Inhalten dieser Leitlinie. MS-Begleitsymptome Darmfunktionsstörungen Blasenfunktionsstörungen Schmerzen Fatique Störungen im Gangbild Ataxie und Tremor Spastik 50 % haben Darmfunktionsstörungen Chronische Obstipation sowie Stuhlinkontinenz treten im Krankheitsverlauf bei der Hälfte der MS-Patienten auf und sind fast immer auch mit Blasenfunktionsstörungen assoziiert. Gegen Obstipation empfiehlt die Leitlinie ausreichend Flüssigkeit (1,5–2 l/d), ballaststoffreiche Mischkost, körperliche Bewegung und Maßnahmen wie Physiotherapie, Kolonmassage oder Einläufe. Medikamentös können Ärzte Lactulose, Macrogol, Glycerinzäpfchen, Klistiere oder alle drei bis vier Tage stimulierende Laxanzien versuchen. Bei schmerzhafter Sphinkterspastik ist Botulinumtoxin eine Option, bei starkem Meteorismus Dimeticon. Gegen Durchfall wird zu einer Ernährungsumstellung mit Verzicht auf Reizstoffe wie Kaffee, Alkohol und Kohlensäure geraten, mitunter helfen auch Loperamid und Anticholinergika wie Butylscopolamin oder Amitriptylin sowie Beckenbodentraining und Elektrostimulation. 50 % haben Blasenfunktionsstörungen Am häufigsten ist die Detrusorüberaktivität und die Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD) – davon sind rund 80 % der MS-Patienten mit neurogenen Blasenfunktionsstörungen betroffen, seltener ist eine schlaffe Blase (10–15 %). Ärzte sollten MS-Kranke direkt nach solchen Störungen fragen – aus Scham sprechen sie selbst oft nicht darüber. Zur Therapie nennt die Leitlinie nichtmedikamentöse Interventionen wie Beckenbodentraining, Elektrostimulation, EMG-Biofeedback oder die transkutane N.-tibialis-Stimulation. Medikamentös werden bei Belastungsinkontinenz und überaktiver Blase etwa Anticholinergika und SNRI verwendet. Alphablocker und Antispastika eignen sich zur Hemmung des Blasensphinkters bei Entleerungsstörungen, Desmopressin zur Verringerung von Nykturie und Pollakisurie. Auf konkrete Empfehlungen verzichtet die Leitlinie, sie rät zur Abstimmung mit einem Urologen. 80 % haben Schmerzen Diese können nozizeptiv oder neuropathisch sein und sind von sensorischen Störungen abzugrenzen. Häufig sind Schmerzen durch Läsionen im somatosensorischen System bedingt und können sich als Extremitätenschmerz, Trigeminusneuralgie oder Augenbewegungsschmerz manifestieren. Muskuloskelettale Schmerzen sind oft Folge von Spasmen oder entstehen reaktiv, auch Kopfschmerzen werden bei MS-Kranken gehäuft beobachtet. Zudem kann die Immuntherapie Schmerzen verursachen oder verstärken. Zur Therapie verweist die Leitlinie auf das WHO-Stufenschema sowie die DGN-Leitlinie zu chronischen neuropathischen Schmerzen. Die Leitlinienautoren bemerken jedoch, dass Medikamente gegen neuropathische Schmerzen von MS-Kranken oft nicht gut vertragen werden. Vor allem Natriumkanalblocker wie Carbamazepin haben hier eine sehr geringe therapeutische Breite. 90 % haben Fatique Je nach Untersuchung sind die allermeisten MS-Kranken davon betroffen: Das Deutsche MS-Register weist auf einen Anteil von 58 %, knapp ein Drittel nannte bereits in den ersten beiden Jahren nach der Diagnose eine Fatigue. Abzugrenzen ist diese jedoch von Müdigkeit und Erschöpfung durch Depression, Insomnie, Arzneinebenwirkungen, Schlafapnoe, Anämie oder Hypothyreose. Zur Therapie eignen sich primär Energiemanagementprogramme, kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeits- und Aufmerksamkeitstraining. Körperliches Training und kühlende Maßnahmen wirken sich ebenfalls günstig aus, da sich die Fatigue bei hohen Temperaturen oft verstärkt. Zur Wirksamkeit von Arzneien sehen die Leitlinienautoren keine Evidenz; in Einzelfällen können Ärzte Amantadin oder Modafinil probieren, bei einer begleitenden Depression – und nur dann – auch Antidepressiva. 75 % haben Störungen im Gangbild Je nach Untersuchung sind die allermeisten MS-Kranken davon betroffen: Das Deutsche MS-Register weist auf einen Anteil von 58 %, knapp ein Drittel nannte bereits in den ersten beiden Jahren nach der Diagnose eine Fatigue. Abzugrenzen ist diese jedoch von Müdigkeit und Erschöpfung durch Depression, Insomnie, Arzneinebenwirkungen, Schlafapnoe, Anämie oder Hypothyreose. Zur Therapie eignen sich primär Energiemanagementprogramme, kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeits- und Aufmerksamkeitstraining. Körperliches Training und kühlende Maßnahmen wirken sich ebenfalls günstig aus, da sich die Fatigue bei hohen Temperaturen oft verstärkt. Zur Wirksamkeit von Arzneien sehen die Leitlinienautoren keine Evidenz; in Einzelfällen können Ärzte Amantadin oder Modafinil probieren, bei einer begleitenden Depression – und nur dann – auch Antidepressiva. 80 % haben Ataxie und Tremor Gang- und Standataxie, gliedkinetische Ataxie mit distalem Intentionstremor, Haltetremor und/oder Dysmetrie beinträchtigen im Laufe der Erkrankung einen Großteil der Patienten. Zusammen mit spastischen Paresen kommt es dadurch oft zu erhebliche Einschränkungen im Alltag, etwa beim An- und Auskleiden, Greifen, Halten und Schreiben sowie der Mobilität: Die Gehstrecke verringert sich, die Gangunsicherheit nimmt zu, die Patienten neigen zu Stürzen. Um dem entgegenzuwirken, rät die Leitlinie zu koordinationsfördernder Physio- und Ergotherapie. Kälteanwendungen vor manuellen Tätigkeiten sowie Training mit Gewichten können die Behandlung ergänzen. Medikamentös lässt sich der Tremor mit Propranolol, Primidon oder Topiramat angehen, bei Therapieresistenz auch mit Botulinumtoxin A oder – sofern andere Methoden nicht ausreichend wirken – einer tiefen Hirnstimulation. 80 % haben eine Spastik In einer deutschen Untersuchung hatten etwa zwei Drittel der Betroffenen eine permanente Spastik, ein Viertel eine paroxysmale und 6 % beide Formen. Patienten mit Spastik sollten auslösende Trigger vermeiden und eine Physiotherapie erhalten, am besten zwei- bis dreimal wöchentlich. Genügt dies nicht, sollte unterstützend eine Arzneitherapie erfolgen. Die Leitlinie rät, mit Antispastika wie Baclofen oder Tizanidin zu beginnen. Beide Präparate senken den spastischen Muskeltonus. Studien deuten auch auf einen Nutzen von Cannabinoiden, zugelassen ist Nabiximols als Spray. Darauf sollten Ärzte zurückgreifen, wenn Baclofen oder Tizanidin einzeln oder in Kombination nicht ausreichend wirken, heißt es in der Leitlinie. Gabapentin eignet sich bei paroxysmaler Spastik, Botulinumtoxin A oder intrathekales Baclofen, wenn Physiotherapie und orale Antispastika nicht genügen. Quelle: Ärzte Zeitung

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