Kognitive Reha bei MS immer beliebter

Immer mehr Studien belegen den Nutzen einer kognitiven Rehabilitation von MS-Kranken. Inzwischen kommt diese Erkenntnis auch in der Praxis an. In den vergangenen zwei Dekaden hat die Zahl der Studien zur kognitiven Rehabilitation von MS-Kranken erheblich zugenommen: Ließen sich aus den Jahren vor 2007 nur 16 geeignete Untersuchungen für einen systematischen Review finden, waren es zwischen 2007 und 2016 bereits 40 Studien, seither sind etwa 70 weitere Untersuchungen hinzugekommen. Darauf hat Dr. Nancy Chiaravalloti von der Kessler Foundation auf der ACTRIMS-Tagung in West Palm Beach hingewiesen. Solche Studien hätten die Evidenz zum Nutzen der kognitiven Reha erheblich erweitert. Die Neuropsychologin nannte einen Cochrane-Review von 44 randomisierten und kontrollierten Studien zur Gedächtnis-Reha bei MS. An den Studien waren über 2700 MS-Kranke beteiligt, durch die einzelnen Maßnahmen verbesserten sich das subjektive, das verbale und das visuelle Gedächtnis deutlich, ebenso das Arbeitsgedächtnis und die Lebensqualität, und das über einen Studienzeitraum von ein bis sechs Monaten hinweg. Trotz allem fehlten aber noch Daten zu Langzeiteffekten und zur Kosteneffektivität der unterschiedlichen Trainingsmethoden, gab Chiaravalloti zu bedenken. Immer mehr MS-Zentren nutzen die kognitive Reha Immerhin sei der Nutzen der kognitiven Reha besser belegt als der von Medikamenten. Dies habe mittlerweile zu einem Umdenken geführt. Die Forscherin verwies auf eine Umfrage aus dem Jahr 2022 an 56 MS-Zentren in den USA: Über 60% der Zentren überwiesen MS-Kranken auch zur kognitiven Reha, der Anteil lag im Jahr 2010 mit 31% erst halb so hoch. Zwei Drittel der Zentren gaben zudem an, dass das kognitive Screening bei ihnen in den vergangenen Jahren an Bedeutung zugenommen hatte, zugleich wurden immer seltener Arzneien wie Stimulanzien, Antidepressiva oder Cholinesterasehemmer gegen die kognitiven Beschwerden verordnet (Int J MS Care 2022; 24(3):104–109). Chiaravalloti wies darauf hin, dass bei der kognitiven Reha nicht nur die Behebung kognitiver Defizite im Vordergrund stehe, sondern auch der Aufbau kognitiver Reserven, um den Folgen der MS-bedingten Neurodegeneration vorzubeugen. Wichtig sei zudem, nicht nur das Gedächtnis, sondern auch andere kognitive Domänen zu trainieren. Auf der Tagung stellte die Neuropsychologin einige häufig verwendete Verfahren vor: Attention Process Training, Version 3 (APT-3): Diese Methode zielt auf diverse Aufmerksamkeitsbereiche wie Arbeitsgedächtnis, selektive Aufmerksamkeit oder Multitasking. Der Nutzen sei sehr gut belegt, Chiaravalloti verwies auf eine Studie bei 88 MS-Kranken aus dem Jahr 2014 mit einer deutlichen Verbesserung beim PASAT-3-Score nach einem Training über drei Monate hinweg (zweimal eine Stunde pro Woche). In einer weiteren Studie ergaben sich deutliche Verbesserungen beim SF-36-Score nach einem Training dreimal wöchentlich über drei Monate hinweg. Die Übungen können die MS-Kranken am Computer absolvieren. RehaCOM: Dieses Verfahren ist in Europa recht beliebt und in 20 Sprachen verfügbar. Das Training besteht aus 30 Modulen mit Schwerpunkten auf Gedächtnis, Konzentration, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Exekutivfunktionen. Dauer, Inhalt und Startniveau werden zusammen mit den Therapeuten abgestimmt. Auch für das RehaCOM gebe es inzwischen eine sehr breite Evidenz. Chiaravalloti verwies auf Verbesserungen in den Kognitionstests SDMT, DKEFS und BICAMS in diversen Studien mit signifikanten Vorteilen beim verbal-episodischen Gedächtnis, der Aufmerksamkeit, der Wortflüssigkeit und der Verarbeitungsgeschwindigkeit. KF-mSMT (Kessler Foundation modified Story Memory Technique): Dieses Programm besteht aus zehn Sitzungen mit 30–90 Minuten Dauer und trainiert die mentale Vorstellungskraft sowie alltagsrelevante kognitive Leistungen. Die Teilnehmenden lernen etwa, wie sie sich Einkaufs- und To-Do-Listen besser merken können. Das Verfahren richtet sich vor allem an Betroffene mit leichten bis moderaten kognitiven Beschwerden. Auch hier sei die Evidenzbasis bei MS sowie anderen Erkrankungen recht breit, so führe das Programm zu einer deutlichen Verbesserung der Alltagsfunktionen, erläuterte Chiaravalloti. Eine Variante des Verfahrens (KF-STEM) zielt besonders auf das Gedächtnis. Trotz zahlreicher Studien gebe es noch immer viele offene Fragen, sagte die Neuropsychologin: Wie intensiv muss das Training sein? Wie häufig sind Booster-Sitzungen nötig? Wann ist der optimale Zeitpunkt für eine Intervention? Und welche MS-Kranken profitieren am meisten? Bisherige Daten deuteten darauf, dass vor allem jüngere Patientinnen und Patienten mit einem relativ hohen Bildungsniveau vom kognitiven Training profitieren, solche mit leichten bis moderaten kognitiven Einschränkungen sowie MS-Kranke, die relativ stabil sind und in letzter Zeit keine Schübe hatten. Quelle: Americas Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ACTRIMS) Forum 2024; West Palm Beach 29.2.–2.3.2024. Session 5: Rehabilitation Without Borders. Nancy Chiaravalloti, Kessler Foundation: Cognitive Rehabilitation in Multiple Sclerosis: What Has Been Achieved?

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