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24.11.2023 | Myopathien | Nachrichten

Pilotstudie

Gentherapie bremst X-chromosomale myotubuläre Myopathie

verfasst von: Thomas Müller

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In einer kontrollierten Studie mit einer Gentherapie konnten 16 von 20 überlebenden Kindern mit X-chromosomaler myotubulärer Myopathie auf Atemgeräte verzichten und erreichten wichtige motorische Entwicklungsziele. Allerdings starben auch vier an Leberversagen.

Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.

Per Gentherapie lassen sich bei genetisch bedingten neuromuskulären Erkrankungen beeindruckende Ergebnisse erzielen – das wurde durch die erste solche Behandlung gegen spinale Muskelatrophie (SMA) deutlich. Rechtzeitig angewandt kann sie einen tödlichen Verlauf verhindern und den Kindern eine weitgehend normale Entwicklung ermöglichen. Oft treten dabei nur milde Nebenwirkungen auf, ein großes Problem sind jedoch nach wie vor lebertoxische Effekte, die auch mindestens zwei Kindern mit SMA unter der Gentherapie zum Verhängnis wurden. In einer aktuell veröffentlichten Pilotstudie zu einer Gentherapie bei Kindern mit X-chromosomaler myotubulärer Myopathie (XLMTM) konnte die Behandlung ebenfalls erstaunliche Erfolge erzielen, allerdings führten Lebererkrankungen zu erheblichen Problemen: Von zwei Dutzend behandelter Kinder starben vier an einem cholestatischen Leberversagen. Möglicherweise lassen sich solche Probleme künftig durch ein besseres Screening auf Lebererkrankungen vor der Behandlung und ein geeignetes Monitoring während der Therapie verhindern. In der Kontrollgruppe gab es aber ebenfalls Todesfälle: Drei Kinder starben an Krankheitskomplikationen.

Essenzielles muskuläres Protein defekt

Die XLMTM bietet sich wie die SMA für eine Gentherapie an, weil eine bestimmte Genmutation vorliegt, die ein essenzielles Protein für die Muskelentwicklung betrifft, in diesem Fall das für Myotubularin 1 (MTM1). Der Defekt führt wie bei einer schwer verlaufenden SMA zu einer Muskelschwäche und häufig bereits zum Tod in den ersten Lebensmonaten, in der Regel durch eine Ateminsuffizienz. Etwa die Hälfte der betroffenen Kinder stirbt in den ersten eineinhalb Lebensjahren – trotz Maßnahmen wie maschineller Beatmung. Nur rund 20% erreichen das Erwachsenenalter. Unter der Erkrankung leiden fast ausschließlich Jungen, sie tritt bei etwa einem von 50.000 männlichen Neugeborenen auf. Die Mütter mit MTM1-Mutation zeigen in der Regel keine oder allenfalls milde Symptome wie leichte Störungen der Gesichtsmuskulatur und Myotonien.

Ein Team um Professor Perry Shieh von der David Geffen School of Medicine an der Universität in Los Angeles hat nun in einer offenen kontrollierten Pilotstudie versucht, der Erkrankung mit einem Adenovirusvektor (AAV8) und einer unbeschädigten Kopie des MTM1-Gens im Gepäck Einhalt zu gebieten. Für die Studie mit der Bezeichnung ASPIRO sollten 26 Jungen behandelt werden, die aufgrund einer XLMTM bereits maschinell beatmet werden mussten. Beteiligt war auch ein Zentrum aus Deutschland. Die Studie bestand aus einer Sicherheits- und Dosiseskalationsphase, gefolgt von einem kontrollierten Part mit der geeigneten Dosierung. In der ersten Phase wurden zwei Dosierungen des Vektorgenoms (1,3 x 1014 sowie 3,5 x 1015) geprüft, in der kontrollierten Phase schließlich die höhere Dosis verwendet. Als Kontrollgruppe dienten 14 unbehandelte Kinder, einem Teil wurde die Therapie nach dem Studienende ein halbes Jahr später angeboten.

Mit der hohen Dosis starben drei Jungen an einem cholestatischen Leberversagen. Die US-Zulassungsbehörde FDA stoppte darauf die Studie, ließ sie aber nach einer Prüfung und der Vorgabe eines strengen Lebermonitorings mit der niedrigen Dosis weiterführen. Dennoch starb ein weiterer Junge an Leberkomplikationen, worauf die Studie endgültig abgebrochen wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatten insgesamt 17 Kinder die hohe und 7 die niedrige Einmaldosis des von Astellas entwickelten Gentherapeutikums mit der Bezeichnung Resamirigene bilparvovec intravenös infundiert bekommen.

Zu Beginn waren die Kinder ein bis sechs Jahre alt, die Erkrankung war in der Regel im Alter von zwei bis drei Monaten diagnostiziert worden. In der Verumgruppe mussten praktisch alle und in der Kontrollgruppe mehr als die Hälfte ganztägig invasiv beatmet werden. Nur drei der Kinder konnten selbstständig für 30 Sekunden sitzen.

Drei Viertel erreichten eine Extubation

Als primären Endpunkt wählten die Neurologen um Shieh Veränderungen bei der täglichen Beatmungsdauer. Diese blieb in der Kontrollgruppe weitgehend konstant oder nahm leicht zu, dagegen wurde nach 24 Wochen unter der hohen Dosis ein Rückgang um 22% erzielt, in der niedrigen ein noch stärkerer Rückgang um 77%. Der Grund dafür war möglicherweise, dass Kinder mit der niedrigen Dosis zu Beginn im Mittel erst ein Jahr, solche mit der höheren Dosis bereits zweieinhalb Jahre alt waren, aber auch einige Kinder mit langjähriger Beatmung profitierten noch von der Behandlung und konnten extubiert werden. Dies, so die Neurologinnen und Neurologen um Shieh, werde sonst so gut wie nie beobachtet.

Die Effekte verstärkten sich mit der Zeit: Nach 48 Wochen ergab sich eine Reduktion der täglichen Beatmungsdauer verglichen mit der Kontrollgruppe um 62% unter der hohen und von etwa 100% unter der niedrigen Dosis: Insgesamt 16 der 20 überlebenden Kinder mit Gentherapie benötigten nach einer Beobachtungsdauer von bis zu zwei Jahren keine invasive Beatmung mehr.

Die behandelten Kinder erreichten zudem oft wichtige motorische Entwicklungsziele: Alle konnten für mindestens drei Sekunden selbstständig sitzen, acht für mehr als drei Sekunden gehen und sechs mindestens drei Treppenstufen bewältigen. In der Kontrollgruppe schafften nur drei Kinder selbstständig zu sitzen, weitere Ziele wurden hingegen nicht erreicht. In der Gruppe ohne Gentherapie starb ein Junge an den Folgen einer Leberblutung aufgrund einer Peliosis hepatis, die anderen beiden an Aspirationspneumonie und Lungenschwäche.

Schon vor der Therapie Leberprobleme

Trotz der Todesfälle sehen Shieh und Mitarbeitende die Studie als wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einer erfolgreichen Behandlung von Kindern mit XLMTM. Die Gründe für das Leberversagen würden nun evaluiert. Bei allen Verstorbenen seien jedoch schon vor der Behandlung erhöhte Leberwerte festgestellt worden, allerdings lagen diese noch unterhalb der Ausschlussschwelle (ALT und AST mindestens fünffach über dem oberen Normalwert), zudem waren schon vor der Therapie Hinweise auf eine Cholestase erkannt worden. Eine solches Problem trete Studien zufolge bei etwa 10–20% der Erkrankten auf, werde aber oft nicht diagnostiziert, so die Neurologen um Shieh. Möglicherweise lassen sich also Gentherapie-bedingte Todesfälle durch ein besseres Screening verhindern.

Noch völlig unklar ist hingegen, auf welche Weise das Therapeutikum die Leberprobleme verstärkt. Jedenfalls dürfte der Mechanismus ein anderer sein als bei den bisherigen Gentherapien, da diese primär nichtcholestatische Komplikationen verursachten, geben die Studienautoren zu bedenken.

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Wie gut hilft eine Gentherapie Kindern mit X-chromosomaler myotubulärer Myopathie (XLMTM)?

Antwort: In einer Pilotstudie mit beatmungspflichtigen Kindern konnten nach einer einmaligen Infusion 16 von 24 Behandelten auf die Beatmung verzichten, allerdings starben vier an Leberkomplikationen. Die Überlebenden erreichten wichtige motorische Entwicklungsschritte wie selbstständiges Sitzen und Gehen.

Bedeutung: Die Gentherapie mit der Bezeichnung Resamirigene bilparvovec scheint die Erkrankung weitgehend zu stoppen, allerdings mit einem hohen Risiko für ein cholestatisches Leberversagen bei einem Teil der Betroffenen.

Einschränkung: Geringe Zahl Behandelter.

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Literatur

Shieh PB et al. Safety and efficacy of gene replacement therapy for X-linked myotubular myopathy (ASPIRO): a multinational, open-label, dose-escalation trial. Lancet Neurology 2023; https://doi.org/10.1016/S1474-4422(23)00313-7

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