Zusammenfassung:
Menschen mit zwanghaft-skrupelhaftem Gewissen sind ständig auf der Suche nach der eigenen moralischen Integrität und sind nicht bereit, auch nur die geringsten Unsicherheiten dazu zu tolerieren. Das führt zu einer permanenten Suche nach etwaigen eigenen Verfehlungen oder Versäumnissen und, damit verbunden, zu ständigen Vergewisserungsversuchen und Abwehrritualen, die ihr Leben oft zu einer kaum noch erträglichen Fron machen. Nach einer Untersuchung über die Entstehung des Gewissensbegriffs kam es in der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts zu einer Rückbesinnung des Menschen auf sich selbst. In diesem Rahmen erfolgten auch erste Überlegungen zum persönlichen Gewissen. Noch Homer sagt nichts über ein Gewissen seiner Helden. Demnach entspringen ihre Entscheidungen auch nicht ihrem Inneren. Es sind die Götter, die für die Menschen planen, entscheiden und deren Willen lenken. Deshalb kann der Mensch ihnen die Schuld für seine Taten anlasten. Eine Wendung zur Selbsterkenntnis äußert sich in dem altgriechischen Sprichwort „Erkenne dich selbst“, das die Überlieferung mit dem Orakel von Delphi und der Seherin Pythia in Zusammenhang bringt. Sokrates machte diesen Leitsatz zur Grundlage seines Handelns und beriet sich mit seinem Daimonion, der personifizierten Form des Gewissens. Paulus übernahm das entsprechende griechische Wort für Gewissen und verwandte es in seinen Briefen. Damit wurde eine rege Auseinandersetzung über das Thema in Gang gesetzt, die in der mittelalterlichen Scholastik einen Höhepunkt erreichte und später im Luthertum und im Calvinismus fortgeführt wurde. Aus christlicher Sicht wurde das Gewissen zu einer Gegebenheit der gesamten Menschheit, die durch das „Ereignis Christus“ gefestigt und gestärkt wurde. Es manifestiert sich letztlich als persönliche Entscheidung im Gewissensurteil, und als solche kann es sich irren. – Man ahnt, welche Probleme dadurch auf zwanghafte Menschen zukamen und zukommen (Pfeiffer 1990).