Eine 11-jährige Patientin wurde in unserer Myopiesprechstunde vorstellig mit der Frage nach Behandlung bei hochgradiger progredienter Myopie und schwankendem Visus. Die Patientin verwendete bereits niedrig dosierte Atropin-Augentropfen (0,01 %). Die Mutter ist hyperop, der Vater emmetrop. Allgemeinanamnestisch wurde das Kind von der Mutter als gesund beschrieben.
Befund
Die habituelle Brillenkorrektion der Patientin betrug rechts −11,50 dpt–2,00 dpt 177° und links −12,25 dpt–2,50 dpt 176°, womit ein Visus von rechts 0,8 und links 0,63 erreicht werden konnte. Orthoptisch zeigte sich die Patientin unauffällig. Die brechenden Medien waren klar und der Vorderabschnitt reizfrei. Fundoskopisch waren beidseits ein verkippter Sehnervenkopf mit myopem Konus, myope Dehnungsherde und RPE-Defekte sichtbar (Mosaik-Fundus).
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Die axiale Bulbuslänge (IOL-Master 700, Fa. Zeiss Oberkochen, Deutschland) betrug rechts 28,79 mm und links 28,68 mm. Bei der Mikroperimetrie (MP; MAIA, Fa. CenterVue, Padura, Italien) waren die Parameter am rechten Auge im Normbereich, am linken Auge aber herabgesetzt. Weiter wurden Weitwinkelfundus, Weitwinkelfundusautofluoreszenz (WAF; California, Fa. Optos, Dunfermline, UK) und optische Kohärenztomographie (OCT; Cirrus 5000, Zeiss, Oberkochen,
Deutschland) erfasst (Abb. 1).
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In der OCT-Angiographie wurde kein Hinweis auf choroidale Neovaskularisationen (CNV) gefunden. Aus diesem Grund wurde auf eine Fluoreszenzangiographie verzichtet. Ebenso konnte mittels Papillen-OCT eine Grubenpapille ausgeschlossen werden. Bei detaillierter Analyse der vertikalen OCT-Schnitte konnte der Verdacht auf Chorioretinopathia centralis serosa (CCS) relativiert werden (Abb. 2).
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An beiden Augen zeigte sich eine Vorwölbung der Makula, charakteristisch für eine „dome-shaped maculopathy“ (DSM) [1]. Diese war jedoch lediglich im vertikalen OCT-Schnitt ersichtlich (vgl. Abb. 1e, f mit Abb. 2a, b). Am linken Auge zeigte sich zudem eine Ansammlung von subretinaler Flüssigkeit (SRF), sichtbar in allen OCT-Schnitten.
Therapie
Bei dieser hochgradigen und progredienten Myopie schien die Therapie mit 0,01 % Atropin-Augentropfen zu gering. Daher wurde eine Dosiserhöhung auf 0,025 % empfohlen. Eine Verordnung von Multisegmentbrillengläsern war nicht möglich, da die Stärken außerhalb des Lieferbereichs dieser Gläser lagen. Möglich wäre eine Versorgung mit Kontaktlinsen und Multisegmentgläsern ohne zusätzliche dioptrische Wirkung. Es wurde zur Anpassung von multifokalen Kontaktlinsen geraten, um ein weiteres Voranschreiten der Myopie zu verringern. Zudem würde bei Verwendung von Kontaktlinsen keine Bildverkleinerung auftreten, wie es bei den aktuellen Brillengläsern der Fall ist.
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Verlaufskontrolle
Nach einem halben Jahr wurde die Patientin zur Verlaufskontrolle eingeladen. Hier zeigte sich eine stabile Refraktion. Die Achslänge nahm allerdings am rechten Auge um 0,15 mm, am linken Auge um 0,16 mm zu und wies damit mehr Wachstum auf als das physiologische Achslängenwachstum eines gleichaltrigen Kindes. In der MP verschlechterten sich die Parameter an beiden Augen (Abb. 3e, f). Im OCT-Schnitt zeigte sich an beiden Augen eine Zunahme der SRF (Abb. 3e, f). Subjektiv wurde jedoch keinerlei Veränderung wahrgenommen. Höhe und Durchmesser der makulären Vorwölbungen blieben konstant (Tab. 1).
Tab. 1
Aderhautdicke, Höhe und Durchmesser der DSM im horizontalen und vertikalen OCT-Schnitt beim Erstbesuch und bei der Verlaufskontrolle 6 Monate später
Auge
Aderhautdicke (µm)
Höhe im horizontalen Schnitt (µm)
Durchmesser im horizontalen Schnitt (mm)
Höhe im vertikalen Schnitt (µm)
Durchmesser im vertikalen Schnitt (mm)
Erstbesuch
R
180
60
4,05
240
4,03
L
150
0
0
320
4,68
Verlaufskontrolle
R
140
60
4,05
240
4,03
L
170
0
0
320
4,7
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Diskussion
Eine DSM beschreibt das konvexe Vorwölben der Makula und wurde 2008 von Gaucher et al. beschrieben [2]. Sie ist häufig assoziiert mit hoher Myopie und Staphylomen; ein kausaler Zusammenhang von DSM und Staphylomen ist nach neueren Untersuchungen jedoch nicht gegeben [3]. Die Pathophysiologie ist aktuell noch ungeklärt; eine Hypothese ist eine Verdickung der Sklera als Kompensationsmechanismus der progressiven Myopie [4].
Obwohl die DSM in der Literatur insgesamt mit einer geringen Inzidenz beschrieben wird, kann sie auch bei Kindern und bei nicht-hochgradig myopen Patienten auftreten [1, 5]. Shin et al. [6] analysierten retrospektiv OCT-Aufnahmen von myopen Kindern und Jugendlichen: 8 von 1042 Augen (7 von 615 Patienten) wiesen eine kuppelartige Vorwölbung der Makularegion auf. In dieser Auswertung konnte kein Einfluss der Höhe der Myopie auf die DSM bestätigt werden, allerdings wurde der Einfluss der Achslänge nicht untersucht. Nur an einem der 8 Augen wurde eine seröse Abhebung der Netzhaut, ähnlich der des vorliegenden Fallbeispiels, gefunden. Auffällig war, dass die makulären Vorwölbungen jeweils nur im vertikalen OCT-Schnitt erkenntlich wurden. Eine solche kammartige Vorwölbung der Makula wird als „ridge-shaped macula“ (RSM) beschrieben. Calliaux et al. [7] beschreiben diese Form einer ovalen makulären Vorwölbung als die häufigere Form der makulären Vorwölbung bei Patienten mit hoher Myopie. Bei 25 von 48 hochgradig myopen Augen wurde eine seröse Netzhautablösung beschrieben, diese wurde als Hauptursache für reduziertes Sehvermögen bei Patienten mit DSM und RSM identifiziert. Die Messung der Aderhautdicke hat differenzialdiagnostisch keinen Mehrwert, da auch die CCS nicht regelmäßig mit einer verdickten Aderhaut vergesellschaftet ist [8].
In einer Population von unter 20-jährigen asiatischen Patienten wurden OCT-Aufnahmen von 185 hoch-myopen Augen ausgewertet: 16 Augen hatten eine makuläre Vorwölbung, die in jedem Fall ausschließlich im vertikalen OCT-Schnitt sichtbar war (RSM). Der jüngste Patient mit RSM war 4 Jahre alt [5].
Für die Praxis folgt daraus, dass ein radialer OCT-Scan für die Diagnose einer DSM bzw. RSM unerlässlich ist, um eine Fehldiagnose auszuschließen [9]. Wie auch in diesem Fallbeispiel deutlich wird, besteht bei der alleinigen Betrachtung des horizontalen Meridians die Gefahr, eine Vorwölbung gänzlich zu übersehen. In der Literatur gibt es nur wenige vereinzelte Fallbeispiele von Kindern mit CCS. Bei diesen Kindern wurde entweder keine OCT-Diagnostik durchgeführt oder es ist unklar ist, ob nur der horizontale Schnitt betrachtet wurde [10‐12]. Daher ist es fraglich, ob diese Patienten tatsächlich an einer CCS leiden oder die SRF aufgrund von einer RSM angelagert wurde.
Eine Therapieempfehlung zur Behandlung der serösen Abhebungen bei DSM oder RSM ist aktuell nicht vorhanden. Lorenzo et al. [9] konnten keinen Benefit von photodynamischer Therapie oder intravitrealen Injektionen (Bevacizumab oder Ranibizumab) belegen; auch eine spontane Rückbildung der SRF wurde beschrieben. Burke et al. konnten bei persistierender SRF weder eine signifikante Visusverbesserung noch Visusminderung erkennen [13].
Um bei Verlaufskontrollen weiterhin eine myope CNV auszuschließen, ist die OCT-Angiographie notwendig, in einigen Fällen kann eine Fluoreszenzangiographie angebracht sein. Bei aktiver CNV kann auch bei Kindern eine Therapie mit Anti-VEGF in Erwägung gezogen werden [14].
Fazit für die Praxis
Kinder können DSM bzw. RSM aufweisen.
Die Durchführung von radialen Scans sollte bei der OCT-Diagnostik standardmäßig durchgeführt werden, um DSM bzw. RSM zu erkennen.
Aktuell gibt es keine Therapieempfehlung bei serösen Abhebungen.
Ausschluss einer myopen CNV auch im Verlauf wichtig.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
A.-I. Mattern, H. Schwahn, B. Graff, B. Seitz und H. Kaymak geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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