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Erschienen in: Forum der Psychoanalyse 1/2022

14.02.2022 | Psychoanalyse | Originalarbeit

Das Selbst als mentaler Akteur

Ein vernachlässigtes Konzept der Psychoanalyse

verfasst von: Dipl.-Psych. Dr. phil. Werner Bohleber

Erschienen in: Forum der Psychoanalyse | Ausgabe 1/2022

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Zusammenfassung

Die Psychoanalyse hat zwar die Pathologie der Selbsterkenntnis durch die Bewusstmachung des Unbewussten in der analytischen Beziehung intensiv erforscht, sie hat aber lange die Funktion des Selbst als mentaler Akteur vorausgesetzt und nicht eigens untersucht. Deshalb kommt in vielen psychoanalytischen Konzeptionen ein wesentliches Charakteristikum des menschlichen Selbst nicht zur Sprache, nämlich seine duale Struktur, die es dem Menschen erst ermöglicht, als ein mentaler Akteur über sich selbst zu reflektieren. Dargestellt werden die Selbsttheorien von Winnicott und Modell, die diese Dualität des Selbst zu thematisieren suchen. Der Artikel greift neuere Ergebnisse aus Entwicklungsforschung, Neurobiologie, Phänomenologie und Traumaforschung auf, um zu zeigen, wie basal das Empfinden eigener „agency“ und eine reflexive Mentalität im Selbstgefühl des Menschen verankert sind. Die Diskussion dieser Ergebnisse hat zum Ziel, Bausteine für eine zukünftige Theorie des Selbst zu liefern, in der die Agency des Selbst einen wichtigen Platz bekommt.
Fußnoten
1
„Self-agency“ ist kaum korrekt zu übersetzen. „Selbstwirksamkeit“ ist eine Möglichkeit. Es scheint sich auch „Agentizität“ bzw. „Urheberschaft“ einzubürgern. Ich benutze das englische „agency“ weiter oder übersetze „agent“ als „Akteur“.
 
2
An dieser Konzeption des Über-Ich hat Waelder festgehalten und sie in seinem Buch Grundlagen der Psychoanalyse (Waelder 1960) noch erweitert dargestellt.
 
3
Stern (1985/2002) kennzeichnet diese frühe Entwicklungsphase als „emergent self“, das sich dann zu einem „Kern-Selbst“ weiterausformt, dessen fundamentale Invariante das Empfinden der eigenen Agency ist.
 
4
Knox (2011) weist darauf hin, dass die explizite Betonung der Rolle des Kontingenzmechanismus und der Markierung des Affektausdrucks durch die Mutter durch Fonagy et al. die Forschung zu impliziten „Turn-taking“-Verhaltensweisen, die ein unbewusstes interpersonales Verhalten formen, nicht ausreichend berücksichtigt.
 
5
Sander nennt dieses Potenzial eine „primäre endogene Aktivität“ (siehe oben …).
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Das Selbst als mentaler Akteur
Ein vernachlässigtes Konzept der Psychoanalyse
verfasst von
Dipl.-Psych. Dr. phil. Werner Bohleber
Publikationsdatum
14.02.2022
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Psychoanalyse
Erschienen in
Forum der Psychoanalyse / Ausgabe 1/2022
Print ISSN: 0178-7667
Elektronische ISSN: 1437-0751
DOI
https://doi.org/10.1007/s00451-022-00455-y

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