Erschienen in:
28.02.2023 | Affektive Störungen | Leitthema
Stationäre Psychotherapie depressiver Störungen: Möglichkeiten und Herausforderungen
verfasst von:
Prof. Dr. Dipl.-Psych. Dipl. Musik. Eva-Lotta Brakemeier, Anne Guhn, Sarah Stapel, Matthias A. Reinhard, Frank Padberg
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Ausgabe 3/2023
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Zusammenfassung
Hintergrund
Die Psychotherapie depressiver Störungen hat sich als ein zentraler Bestandteil der stationären Versorgung in psychiatrischen bzw. psychosomatischen Kliniken sowie als ein ebenso wichtiger Baustein der Facharztausbildung in Deutschland etabliert. Die Zahl der Studien, die ihre Wirksamkeit untersucht, ist jedoch begrenzt.
Methoden
In einem narrativen Review wird der Stand der Forschung zur stationären Psychotherapie depressiver Störungen zusammengefasst. Dabei werden sowohl Ergebnisse von Metaanalysen als auch von praxisbasierten Beobachtungsstudien aus der Routinebehandlung in Deutschland zu störungsspezifischen Spezialprogrammen und zu Nebenwirkungen stationärer Psychotherapie zusammengetragen.
Ergebnisse
Die Anzahl der Studien zur Wirksamkeit stationärer Psychotherapie bei depressiven Störungen ist insgesamt gering. Der Hauptbefund der größten aktuellen Metaanalyse weist darauf hin, dass Psychotherapie in Kliniken und anderen Einrichtungen eine signifikante Wirkung auf depressive Symptome hat, wobei die Effektstärken in randomisiert-kontrollierten Studien klein bis moderat ausfallen. Die Effekte bleiben auch nach 9 bis 15 Monaten Follow-up weitgehend erhalten. In einer Beobachtungsstudie aus der Routinebehandlung mit sehr großer Stichprobe werden große Prä-Post- und Prä-Follow-up-Effektstärken berichtet und zudem Faktoren aufgedeckt, die während der stationären Psychotherapie nur schwer veränderbar erscheinen, den Therapieerfolg negativ beeinträchtigen und daher zukünftig gezielter adressiert werden könnten. Spezialprogramme wie die stationäre Interpersonelle Psychotherapie (IPT) sowie das stationäre Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) weisen in einer ersten randomisiert-kontrollierten (IPT) sowie in Beobachtungsstudien (CBASP) auf Akzeptanz und Wirksamkeit hin. Über Nebenwirkungen der stationären Psychotherapie berichten 60–94 % der Patientinnen und Patienten mit depressiven Störungen, wobei u. a. eine erlebte Abhängigkeit von der Therapeutin oder dem Therapeuten bzw. dem therapeutischen Setting als eine häufige Nebenwirkung identifiziert wurde.
Schlussfolgerungen
Insgesamt sprechen die Ergebnisse des narrativen Reviews dafür, dass stationäre Psychotherapie für viele Patientinnen und Patienten mit depressiven Störungen sinnvoll und wirksam erscheint. Spezifische Nebenwirkungen, die Kosteneffektivität sowie die Frage nach der differenziellen Indikation („What works for whom?“) sollten weiter untersucht werden.